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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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beeinflusst wurden. Mein Thema ist enger gefasst.
    Natürlich können wir die arabische Wissenschaft nicht in ihrem Zusammenhang verstehen, wenn wir uns nicht mit der Frage beschäftigen, in welchem Umfang die Religion des Islam das wissenschaftliche und philosophische Denken beeinflusste. Die arabische Wissenschaft war während ihres gesamten Goldenen Zeitalters untrennbar mit der Religion verbunden; das Bedürfnis der ersten Gelehrten, den Koran zu interpretieren, war sogar ihre Triebkraft. Außerdem wurde die Politik in Bagdad zu Beginn der Abassidenherrschaft von den Mu’taziliten beherrscht, einer Bewegung islamischer Rationalisten, die Glauben und Vernunft in Einklang bringen wollten. Dies führte zu einer Atmosphäre der Toleranz, in der wissenschaftliche Forschung gefördert wurde.
    Vielfach wurde die Ansicht vertreten, die wissenschaftliche Kreativität sei in der islamischen Welt so kurzlebig gewesen, weil sie innerhalb der islamischen Gesellschaft mit den religiösen Lehren in Konflikt geriet, eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in den Arbeiten des muslimischen Theologen al-Ghazali fand (der, was seine Bedeutung für die islamische Lehre angeht, die gleiche Stellung einnimmt wie Thomas von Aquin für das Christentum). Die Blütezeit vieler wissenschaftlicher Disziplinen jedoch, darunter Mathematik, Medizin und Astronomie, setzte sich noch lange nach al-Ghazali fort.
    Der dritte Grund, warum ich der Versuchung widerstehe, mein Thema als islamische Wissenschaft zu bezeichnen, ist die unglückselige wissenschaftsfeindliche Haltung mancher heutiger Muslime (die sich aber natürlich nicht auf Muslime beschränkt). Es ist ein trauriger Gedanke, dass eine Minderheit der islamischen Gelehrten unserer Zeit offensichtlich nicht mit dem wissbegierigen Geist ihrer Vorväter ausgestattet ist. Für die Gelehrten im Bagdad früherer Zeiten standen Religion und Wissenschaft nicht in Konflikt. Die damaligen Denker hatten eine klare Vorstellung von ihrem Auftrag: Der Koran verlangte, dass sie al-samawat wa-l-ard (Himmel und Erde) studierten, um den Beweis für ihren Glauben zu finden. Der Prophet selbst hatte seine Anhänger angehalten, »von der Wiege bis zum Grabe« nach Wissen zu streben, ganz gleich, wie weit die Suche sie führen würde: »Wer sich zur Suche nach Wissen auf die Reise begibt, wandert auf Allahs Weg zum Paradies.« Natürlich war mit diesem Wissen (’ ilm ) vor allem die Theologie gemeint, aber in der Frühzeit des Islam bestand nie eine klare Trennung zwischen religiösen und nichtreligiösen gelehrten Bestrebungen.
    Die scheinbar so bequeme Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion während der Abassidenherrschaft steht in krassem Gegensatz zu den Spannungen zwischen rationaler Wissenschaft und vielen verschiedenen Glaubensrichtungen in der Welt unserer Tage. Unsere modernen Ängste gab es im Bagdad der Frühzeit nicht. Man kann natürlich die Ansicht vertreten, dass die Wissenschaft jener Zeit selbst nicht sonderlich weit vom Aberglauben entfernt war – eine Mischung aus Metaphysik und Volksglauben, die sich einfacher in theologische Gedanken einbauen ließ. Wie wir aber noch genauer erfahren werden, hatten die arabischen Wissenschaftler im Vergleich zu vielen griechischen Philosophen viel weniger abstrakte Vorstellungen; sie standen vielmehr auf einer Grundlage, die stark der modernen naturwissenschaftlichen Methode ähnelte: Man vertraute auf handfeste empirische Befunde, Experimente und die Überprüfbarkeit von Theorien. Viele von ihnen lehnten beispielsweise Astrologie und Alchemie ab: Diese seien kein Teil der wahren Wissenschaft und etwas ganz anderes als Astronomie und Chemie.
    Klar ist, dass es in der muslimischen Bevölkerung unserer Zeit ein breites, kontinuierliches Spektrum verschiedener Einstellungen gegenüber der Naturwissenschaft gibt; und alle diese Einstellungen sind zweifellos ehrlich gemeint. Diejenigen, die die Bedeutung der Wissenschaft erkennen und sie von der Religion trennen können, würden behaupten, dass »der Koran uns sagt, wie man in den Himmel kommt, aber nicht wie der Himmel funktioniert«. Viele gläubige muslimische Naturwissenschaftler halten es für ihre religiöse Pflicht, sich aus einer empirischen, rationalistischen wissenschaftlichen Perspektive um Kenntnisse über das Universum zu bemühen. Ausgestattet mit solchen neugefundenen Kenntnissen, können sie dann zu den Worten des Korans zurückkehren und darauf hoffen, für diese ein weiter reichendes,
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