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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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tiefgreifenderes Verständnis zu entwickeln als vor ihrer wissenschaftlichen Erleuchtung. Damit habe ich kein Problem, denn in diesem Fall hat der Glaube keinen Einfluss darauf, wie sie ihre wissenschaftliche Arbeit betreiben. Erst wenn der Prozess sich umkehrt, läuten die Alarmglocken: Wenn man das Argument hört, es sei nicht notwendig, die Welt um uns herum unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu verstehen, weil alles, was wir jemals wissen müssen, ohnehin bereits im Koran geschrieben steht.
    Letztlich kann es so etwas wie eine islamische oder muslimische Wissenschaft nicht geben. Wissenschaft lässt sich nicht durch die Religion derer charakterisieren, die sie ausüben, wie die Nazis es versuchten, als sie im Deutschland der 1930er Jahre Albert Einsteins große Errungenschaften als »jüdische Wissenschaft« verächtlich machten. Mit dem Begriff »islamische Wissenschaft« könnten diejenigen, die ähnlich rassistische Vorstellungen haben, ihre Bedeutung herunterspielen. Genau wie es keine »jüdische Wissenschaft« oder »christliche Wissenschaft« gibt, kann es auch keine »islamische Wissenschaft« geben. Es gibt schlicht und einfach nur Wissenschaft .
    Im Zusammenhang mit dem von mir gewählten Begriff »arabische Wissenschaft« habe ich (abgesehen davon, dass er bei der Bevölkerung des heutigen Iran, Usbekistan oder Turkmenistan, die alle im Goldenen Zeitalter die Heimat großer Gelehrter waren, unpopulär sein könnte) nur eine Befürchtung: Selbst wenn man ein wissenschaftliches Zeitalter nach der Sprache benennt, die damals zur Kommunikation diente, ist das problematisch. Schließlich bezeichnen wir auch die wissenschaftlichen Errungenschaften der europäischen Renaissance nicht als »lateinische Wissenschaft«. Und noch seltsamer wäre es, die Wissenschaft unserer Zeit »englische Wissenschaft« zu nennen. Dennoch ist es mein Eindruck, dass »arabisch« im Vergleich zu »islamisch« ein ehrlicheres, weniger problematisches Attribut für diese Wissenschaft ist. Und irgendeinen Namen muss ich ihr geben, um sie von der griechischen Wissenschaft, der indischen Wissenschaft oder der Wissenschaft der europäischen Renaissance zu unterscheiden – die Bedeutung all dieser Begriffe ist ganz klar; ständig von der »Wissenschaft, die von den Gelehrten im Goldenen Zeitalter des Islam praktiziert wurde« zu sprechen, ist – da wird mir wohl jeder zustimmen – ein wenig umständlich.

1
    Ein Traum von Aristoteles
Man behauptet … der Kalif Harun al-Rashid habe in der Nacht einmal seinen Wesir gerufen und ihm gesagt: Wir wollen miteinander in die Stadt gehen und hören, was es in der Welt Neues gibt; wir wollen die Leute über die Urteile der Richter ausfragen und den absetzen, über den man sich beklagt, und den belohnen, den man lobt.
Aus der ›Geschichte der drei Äpfel‹, Tausendundeine Nacht
    Der Bezirk Bab al-Sharqi im Zentrum Bagdads verdankt seinen Namen – er bedeutet »Osttor« – den mittelalterlichen Befestigungen der Stadt. Er war ein Teil der Mauer, die vermutlich ungefähr in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts errichtet wurde. Während der kurzen britischen Herrschaft am Ende des Ersten Weltkrieges diente das Torhaus als Garnisonskirche (und die Briten bezeichneten es als Südtor, weil das einzige andere erhaltene Tor, das Bab al-Mu’azzam , weiter nördlich lag). Von den mittelalterlichen Mauern und dem Osttor ist heute nichts mehr übrig; mir ist Bab al-Sharqi als heißer, stinkender, lauter, belebter und vom Verkehr verstopfter Platz in Erinnerung geblieben, mit schäbigen Lebensmittelbuden und Secondhand-Schallplattenläden rund um den Busbahnhof und die Taxistände. Aber der Name erinnert noch daran, wie diese stolze Stadt sich in den Jahren, nachdem man sie 762 u.Z. als neues Machtzentrum des Abassidenreiches gegründet hatte, ausweitete und wandelte. Bagdad ist gewachsen und geschrumpft und erneut gewachsen, wobei der Regierungssitz sich im Laufe der Jahrhunderte von einer Seite des Tigris zur anderen verlagerte, weil verschiedene Herrscher jeweils den geeignetsten Platz zum Bau ihrer prächtigen Paläste suchten. Wenn wir uns in die Geschichte der Stadt vertiefen, stellen wir fest, dass ihre heutigen Bewohner mit dem, was sie an Leid erdulden müssen, in guter Gesellschaft sind. Keine andere Stadt auf Erden musste über die Jahrhunderte so viel Tod und Zerstörung aushalten wie Bagdad. Andererseits war sie als Hauptstadt eines der größten Weltreiche auch ein halbes
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