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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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Jahrtausend lang die reichste, größte, stolzeste und auch hochmütigste Stadt der Erde.
    Genau 1200 Jahre nach ihrer Gründung kam ich in einer Bagdader Klinik zur Welt. Sie liegt in Karradat Mariam, einem Schiitenviertel mit einer großen christlichen Gemeinde, nur einen Steinwurf entfernt von der heutigen »Grünen Zone« am anderen Ufer des Flusses. Das Krankenhaus liegt ein paar Kilometer südlich von der Stelle, wo einer der berühmtesten Herrscher Bagdads im Jahr 786 u.Z. geboren wurde. Er hieß Abu Ja’far Abdullah al-Ma’mun. Dieser rätselhafte, faszinierende Kalif, halb Araber, halb Perser, ist in meiner Geschichte eine zentrale Gestalt: Er sollte in der langen Reihe der islamischen Herrscher zum größten Schirmherrn der Wissenschaft werden und sorgte dafür, dass die beeindruckendste Phase der Gelehrsamkeit seit der griechischen Antike ihren Anfang nahm.
    Um zu verstehen, wie und warum es zum Goldenen Zeitalter kam, müssen wir uns ein wenig näher mit den Motiven und der Psyche der frühislamischen Gesellschaft und ihrer Herrscher beschäftigen. Wir müssen genau untersuchen, welche inneren und äußeren Faktoren die Periode prägten und beeinflussten. Aber bevor wir uns ernsthaft auf den Weg machen, möchte ich diesen bemerkenswerten Herrscher vorstellen.
    Al-Ma’mun war nicht der einzige Kalif, der Gelehrsamkeit und Wissenschaft förderte, aber mit Sicherheit war er der kultivierteste, leidenschaftlichste und begeisterungsfähigste. Wie kein anderer islamischer Herrscher vor oder nach ihm schuf er ein Umfeld, das originelle Gedanken und freimütige Diskussionen begünstigte. Er war der Sohn des zumindest im Westen noch berühmteren Kalifen Harun al-Rashid (763–809) – der Name bedeutet übersetzt »Aaron der Gerechte« –, der in den Geschichten aus 1001 Nacht sehr häufig vorkommt (siehe Farbtafel 2). Al-Rashid erweiterte das Abassidenreich im Norden bis nach Konstantinopel und unterhielt diplomatische Beziehungen zu China sowie zu dem europäischen Kaiser Karl dem Großen, mit dem er häufig Gesandte austauschte. Sie erkannten einander als mächtigste Männer ihrer jeweiligen Kulturkreise an, und die diplomatischen Verbindungen zwischen ihnen trugen zum Aufbau enger Handelsbeziehungen bei. Karl der Große schickte »friesische« Stoffe nach Bagdad und glich damit das »Zahlungsbilanzdefizit« aus, das durch die europäische Vorliebe für Seide, Bergkristalle und andere Luxusgüter aus dem Abassidenreich entstanden war. Al-Rashid seinerseits ließ Karl dem Großen zahlreiche Geschenke zukommen, unter anderem einen Elefanten und eine komplizierte Wasseruhr aus Messing, beides Objekte, über die der europäische Kaiser verblüfft gewesen sein muss. Über al-Rashids Reichtum gibt es viele Geschichten; insbesondere seine Schmucksammlung war legendär. [1] Für eine berühmte Perle namens al-Yatima (»Waisenperle«) soll er 70 000 Golddinare bezahlt haben. Karl der Große seinerseits schenkte ihm den vermutlich größten Smaragd der Welt.

2.
Harun al-Rashid und der Barbier im türkischen Bad; Ölgemälde aus dem 15. Jahrhundert.
    Al-Rashid hatte ein persönliches Interesse an den vielen Feldzügen gegen das benachbarte byzantinische Reich, gegen das er während seiner gesamten Herrschaft militärisch vorging. Im Jahr 797 erklärte sich die unterlegene Kaiserin Irene bereit, als Zeichen ihrer Unterwerfung eine große Geldsumme an al-Rashid zu bezahlen. Als ihr Nachfolger, der Kaiser Nikephoros I., die Zahlung einbehielt, erklärte al-Rashid ihm erneut den Krieg, und 805 siegten die arabischen Streitkräfte in der Schlacht von Krasos in Phrygien (westliches Anatolien) gegen den byzantinischen Kaiser. Im folgenden Jahr drang al-Rashid noch einmal nach Kleinasien vor, dieses Mal mit mehr als 135 000 Mann. Nikephoros wurde derart gedemütigt, dass er sich bereitfand, einen jährlichen Tribut von 30 000 Nomismata (byzantinischen Goldmünzen) zu bezahlen. [2]
    Einem weiteren Bericht zufolge schickte Nikephoros 50 000 Dirham [3] an al-Rashid als Lösegeld für eine Sklavin, die dieser während der Invasion von 806 gefangen genommen hatte. Die Frau war offenbar mit Nikephoros’ Sohn verlobt, und das Angebot des Kaisers an Bagdad war Teil einer größeren Austauschaktion, in der es auch um Brokatstoffe, Falken, Jagdhunde und Pferde ging.
    Zu Hause in Bagdad war al-Rashid jedoch ein schlechter Verwalter; seinen Erfolg verdankte er der Tatsache, dass die Staatsangelegenheiten von einer mächtigen persischen
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