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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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Familie gelenkt wurden, den Barmakis (im Westen Barmakiden genannt). Unter al-Rashids Herrschaft erlebte das islamische Reich seine größte Machtfülle; viele Historiker und Dichter haben diese Periode im Laufe der Jahrhunderte immer wieder als Höhepunkt des Goldenen Zeitalters von Bagdad bezeichnet. Eine solche Sichtweise entsprang allerdings zum größten Teil der Nostalgie für eine vergangene Ära, denn wenig später bekam das Reich bereits seine ersten Risse. Für eine Stadt, die noch für 500 Jahre die wichtigste der Welt bleiben sollte, war es bemerkenswert: Der Verfall ihrer Pracht begann, wie wir in Kürze genauer erfahren werden, schon 50 Jahre nach ihrer Gründung. Al-Rashid war mit ziemlicher Sicherheit der Nutznießer einer sentimentalen Verherrlichung, die seither fast immer ausnahmslos betrieben wurde.
    Al-Ma’mun (786–833) kam in dem Jahr zur Welt, in dem sein Vater Kalif wurde. Seine Mutter Marajil, eine persische Sklavin und Konkubine, war ursprünglich als Kriegsgefangene nach Bagdad gekommen. Sie war die Tochter des persischen Rebellenführers Ustadh Sis, der von den Abassiden in Khorasan im heutigen Ostiran besiegt worden war. Marajil arbeitete in der Küche von al-Rashids Palast. Wie die Historiker unfreundlicherweise aufzeichneten, bestand al-Rashids arabische Ehefrau Zubayda darauf, dass er als Buße für eine verlorene Schachpartie mit der hässlichsten und schmutzigsten Sklavin aus der Küche schlief. Nach viel Bettelei erklärte er sich einverstanden und hatte Geschlechtsverkehr mit Marajil; diese brachte daraufhin Abdullah zur Welt, seinen ersten Sohn, dem er den Titel al-Ma’mun (»der Vertrauenswürdige«) verlieh. Marajil starb kurz nach der Entbindung, und al-Ma’mun wurde der Obhut der Familie Barmaki anvertraut.
    Nachdem Harun al-Rashid das Kalifat übernommen hatte, zog er aus dem Palast seines Vaters an das östliche Flussufer in den großartigen Qasr al-Khuld (»Palast der Ewigkeit«), den sein Großvater Kalif al-Mansur, der Gründer Bagdads, erbaut hatte. Sechs Monate nach der Geburt von al-Ma’mun brachte Zubayda einen zweiten Sohn des Kalifen zur Welt, der den Namen al-Amin erhielt (787–813). Die beiden Jungen sollten in ganz unterschiedlichen Welten aufwachsen. Zubayda war wie al-Rashid von reiner, adeliger arabischer Abstammung – sie war eine Enkeltochter von al-Mansur und damit al-Rashids Cousine; ihr Sohn al-Amin war damit der natürliche Thronfolger, denn sein Halbbruder war der Sohn einer persischen Sklavin. Wie nicht anders zu erwarten, bestand zwischen al-Ma’mun und seiner Stiefmutter keine sonderlich enge Beziehung, aber sein Vater liebte ihn mit Sicherheit; in vielen Berichten ist davon die Rede, wie er als kleiner Junge in den wunderschönen Palastgärten und am Ufer des Tigris mit dem Kalifen spielte.
    Als junger Mann lernte al-Ma’mun den Koran auswendig, studierte die Frühgeschichte des Islam, rezitierte Gedichte und beherrschte die gerade heranreifende Disziplin der arabischen Grammatik. Außerdem studierte er Arithmetik und ihre Anwendung zur Berechnung von Steuern und Vermächtnissen. Und was am wichtigsten war: Er war ein hervorragender Student der Philosophie und Theologie oder, genauer gesagt, des kalam , wie es auf Arabisch heißt, einer Form der dialektischen Debatte und Argumentation. Die muslimischen Theologen der Frühzeit stellten fest, dass die Methoden des kalam sie in die Lage versetzten, ihren Standpunkt in theologischen Diskussionen mit christlichen und jüdischen Gelehrten zu verteidigen, die in ihrer Nachbarschaft lebten und in der Verfeinerung ihrer Diskussionskunst einen Vorsprung von mehreren Jahrhunderten hatten: Sie hatten die Werke von Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles studiert, historischer Gestalten aus dem antiken Griechenland, deren Namen der junge al-Ma’mun mit Sicherheit kannte. Wahrscheinlich waren einige ihrer Werke sogar bereits ins Arabische übersetzt worden. Al-Ma’muns Interesse für das kalam sollte später für seine lebenslange Wissenschaftsleidenschaft eine große Rolle spielen.
    Zu Beginn des 9. Jahrhunderts lernte der halbwüchsige Prinz die Metropole Bagdad auf dem Höhepunkt ihrer Pracht kennen: eine riesige, wunderschöne Stadt, gekennzeichnet durch die Kuppeln und Bogengänge ihrer berühmten, raffinierten abassidischen Architektur. Obwohl Bagdad erst 40 Jahre alt war, war es bereits die größte Stadt der Welt – manchen Schätzungen zufolge hatte sie mehr als eine Million
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