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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Autoren: Jim al-Khalili
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ganzen Land eingesetzt wurde, waren wir es gewohnt, regelmäßig umzuziehen. Anfang der 1970er Jahre jedoch verfügte die herrschende Baath-Partei, man könne Irakis mit britischen Ehefrauen in den Streitkräften plötzlich nicht mehr trauen. Nun musste mein Vater, der mittlerweile im Rang eines Majors stand, zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben eine zivile Arbeit finden. Er bekam schon bald eine Stelle als leitender Ingenieur bei dem Chemieunternehmen Ma’mal al-Harir in Hindiyya, das Rayon-Kunstfasern herstellte. Wir wohnten ein paar Jahre in Bagdad, bevor wir schließlich nach Hindiyya zogen, um meinem Vater das tägliche Pendeln zu ersparen. Für mich war das kein Problem. Ich fand schnell Freunde und gründete meine neue Fußballmannschaft, die Rayon Dynamos (das schäbige Trikot mit der Nummer 9, das ich damals trug, habe ich heute noch). Zusammen mit meinem Bruder schaltete ich am Samstagnachmittag den BBC World Service ein, um die englischen Fußballergebnisse zu hören. Der World Service bildete in unserem Haus sogar eine mehr oder weniger ständige Geräuschkulisse. Wenn möglich, besuchte ich regelmäßig die Bibliothek des British Council in Bagdad und besorgte mir Nachschub an englischen Büchern. Außerdem wuchs ich in dem Wissen auf, dass das Leben in einer Diktatur erträglich war, solange man den Kopf gesenkt hielt und nicht einmal im privaten Kreis die Regierung oder die Baath-Partei kritisierte.

8.
Der Autor (links) und sein Bruder auf dem Balkon ihrer Wohnung im Bagdader Bezirk al-Mansur Mitte der 1960er Jahre.
    Es war immer ein fröhlicher Ausflug für meine Familie und mich, wenn wir zu den hängenden Gärten von Babylon eine Autostunde südöstlich von Hindiyya fuhren. Die Ruinen dieses mythischen Ortes hatten für mich kaum etwas Geheimnisvolles, war ich doch bei Klassenfahrten schon oft dort herumgestreunt. Aber trotz der nicht gerade eindrucksvollen Ruinen und meiner aus Vertrautheit geborenen Gleichgültigkeit verlor ein solcher aufregender, unterrichtsfreier Tag nie seinen Reiz, und die archäologische Stätte strahlte nach wie vor etwas Machtvolles aus – flüsternd erzählte sie vom Glanz einer Zeit, die so unbegreifbar lange vergangen war. Einmal stießen wir bei einem Familienausflug – ich war gerade erst im Teenageralter – auf zwei Backsteinbrocken. Sie waren jeweils so groß wie eine Faust und trugen auf einer Seite eindeutig antike Keilschriftzeichen. Die Frage, ob mein Bruder, meine Mutter oder ich die Steine aufhob, ist bis heute Gegenstand eines humorvollen Familienstreits. Jedenfalls versteckte meine Mutter sie ganz unten in unserem Picknickkorb, und wir schmuggelten sie nach Hause.
    Das klingt jetzt vielleicht nach einem empörenden Fall von Altertumsdiebstahl. Natürlich hätten wir einen solchen nationalen Schatz den örtlichen Behörden oder sinnvollerweise vielleicht besser dem Museum in Bagdad übergeben sollen. Aber wir behielten sie. Zu unserer Verteidigung kann ich anführen, dass ähnliche mit Keilschrift versehene babylonische Ziegelsteine überall um uns verstreut waren. Und im Vergleich mit den Schäden, die später in den Ruinen von Babylon angerichtet wurden – in den 1980er Jahren durch Saddam Husseins erstaunlich vulgären Wiederaufbau des Ishtar-Tores und 2003 durch die US-Streitkräfte, die einen ganzen Abschnitt einer der kostbarsten archäologischen Stätten der Welt dem Erdboden gleichmachten, um einen ebenen Landeplatz für Hubschrauber und einen Parkplatz für schwere Militärfahrzeuge zu schaffen – erscheint unser Diebstahl relativ harmlos.
    Erst vor kurzem bat ich meinen Bekannten Irvine Finkle, den Kurator für das antike Mesopotamien am British Museum, sich die beiden Brocken einmal anzusehen. Er bestätigte, dass sie aus dem 7. Jahrhundert v.u.Z. und der Regierungszeit des Königs Nebukadnezar II. stammten, also aus der Periode, in der die Hängenden Gärten gebaut wurden. Die Symbole sind offenbar Bruchstücke einer häufig vorkommenden Inschrift, die da lautet: »Nebukadnezar, König von Babylon, der für Esagila und Ezida sorgt [die Tempel der babylonischen Götter Marduk und Nabu], ältester Sohn von Nabopolassar.«
    Das 7. Jahrhundert v.u.Z. mag sich für Europäer und erst recht für Amerikaner sehr altertümlich anhören, aber nach den archäologischen Maßstäben des Irak ist die Regierungszeit Nebukadnezars eigentlich das Mittelalter. Manchmal kann man es sich kaum vorstellen: Das Erbe derer, die sich heute im Irak darum
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