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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht
Autoren: Barbara Nadel
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gesprochen. Aber keiner hatte irgendetwas über Hikmet Sivas und seine Fotos gewusst.
    Anscheinend setzte der Türke kein großes Vertrauen in Juristen, denn die Fotos waren dort, wo sie sich offenbar die ganze Zeit befunden hatten: in einem alten Briefpapierkarton in Hikmet Sivas’ Nachttisch.
    »Sie haben sie hier aufbewahrt?«, fragte der Mann und warf einen Blick auf den dicken Stapel mit zumeist Schwarzweißfotos.
    »Ja.«
    Obwohl sie sich in seinem Schlafzimmer aufhielten und der andere auf seinem Bett saß, wollte Hikmet auf keinen Fall neben ihm Platz nehmen. Stattdessen setzte er sich in einen Korbsessel gegenüber dem Bett, von wo er über den Kopf des Mannes auf die Spitzen der Palmen vor dem Fenster blicken konnte.
    »Ich habe niemandem gesagt, dass sie hier sind«, erklärte Hikmet. »Nicht einmal Vedat. Ich hatte das Gefühl, so sei es am sichersten.« Er lachte freudlos.
    Der Mann kramte in dem Karton und blätterte die Fotos durch, Abbildungen manchmal sonderbarer, manchmal sinnlicher, häufig aber sadistischer und geschmackloser Akte. Außer ihrem durchweg pornographischen Gegenstand hatten sie nur die Tatsache gemein, dass alle Männer darauf berühmt waren, dass man sie von offiziellen Zeitungsfotos aus der ganzen Welt oder aus den Akten von Ermittlungsbehörden kannte. Beim Blättern versuchte der Mann zu überschlagen, was eine derartige Sammlung bringen könnte, und kam zu dem Schluss, dass sie von unschätzbarem Wert war.
    »Es überrascht mich, dass Sie nie versucht haben, die Bilder zu benutzen, Hikmet«, sagte er. »Sie könnten Milliardär sein.«
    »Ich hatte auch so mehr als genug«, erwiderte Hikmet. »Wie schon gesagt, diese Fotos waren allein dazu da, meinen Status hier zu schützen. Nur so konnte ich sicherstellen, dass man mir, einem türkischen Schauspieler, zuhörte und Respekt erwies.«
    »Aber Sie haben sie nie verwenden müssen, nicht wahr?«
    »Das stimmt. Aber ich wusste auch nie, ob ich nicht eines Tages vielleicht doch dazu gezwungen wäre. Ich musste auf Nummer Sicher gehen.«
    Der Mann blickte auf und lächelte boshaft. »Aber dann kam das Pech mit Ihrem Bruder.«
    »Ich hätte ihm nie etwas davon erzählen dürfen.« Hikmet schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihm nie erlauben dürfen, den Harem ohne mich zu führen.«
    »Hat Vedat auch Fotos gemacht?«
    »In letzter Zeit schon, ja. Alles ging gut, bis er Schiwkow traf.«
    »Wissen Sie, wie die beiden sich begegnet sind?«
    Hikmet seufzte. »In einer kleinen Straße mit Lokalen, die wir Çiçek Pasaj nennen«, sagte er traurig. »Vedat ist schon früher dort hingegangen. Aber seit einigen Jahren treiben sich dort auch eine Menge Gangster herum, vor allem aus dem Ausland.«
    Der Mann senkte den Blick und blätterte den Stapel konzentriert ein weiteres Mal durch.
    »Es war also purer Zufall, nichts als eine Verkettung unglücklicher Umstände?«
    »Ja.«
    »Nein, Hikmet.«
    »Was?«
    »Es gibt keine Zufälle«, sagte der Mann schroff. »Wenn wir nicht alle Verbindungen kappen, könnte die Sache irgendwann wieder hochkommen und Probleme verursachen.« Er stutzte und hielt ein einzelnes Foto hoch. »Oh, sieh mal einer an.«
    »Das ist das Foto, das Sie wollen?«
    »Es ist das einzige, das die Weltkarte verändern könnte, ja.«
    Der Mann betrachtete das Bild aus mehreren Perspektiven und fuhr dann fort: »Sie müssen ja wirklich sehr ehrgeizig sein, Hikmet. Einfach zuzulassen, dass jemand wie er den Mädchen so etwas antut …«
    Hikmet Sivas blickte zu Boden. »Seine Bedürfnisse … Er verlangte …«
    »Ja, schon gut.«
    Hikmets Zorn loderte auf. »Und, hätten Sie Nein gesagt? Hätten Sie ihm eine Bitte abgeschlagen?«
    »Nein«, antwortete der Mann schlicht. »Aber Leute wie ich werden von Männern wie ihm auch sehr gut dafür bezahlt, immer Ja zu sagen. Außerdem ist es eine Frage des Idealismus, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich bewahre die Welt so, wie wir sie kennen.«
    »Und werden Sie das Bild vernichten?«
    »Ich werde sie alle vernichten, Hikmet.« Er breitete den ganzen Stapel auf dem glänzenden Parkett aus und schaute sich die Bilder erneut an. »Sie haben sie hier entwickelt?«
    »Ja, wie schon gesagt«, erwiderte Hikmet und lächelte unvermittelt. »Mein Freund Ahmet und ich haben gelernt, wie man Fotos entwickelt, als wir zusammen in Ägypten waren. Einer der Fotografen hat es uns beigebracht. Mein erstes selbst entwickeltes Foto war ein Bild von Ahmet. Ich war so stolz auf mich.«
    »Und die Negative?«
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