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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel
Autoren: Megan McCafferty
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Marcus nicht mehr damit zufrieden, sich mit den Touristen im French Quarter drängeln, die es zum Totlachen finden, einen Cocktail namens »Hurricane Katrina« zu bestellen (Zitronenwodka, Blue Curaçao, gewürzter Rum, Plymouth Gin, Tequila und Apfelessig, garniert mit einer Limettenscheibe), den sich die besonders geschäftstüchtigen – oder auch sarkastischen, je nach Standpunkt – Barkeeper der Stadt ausgedacht haben. Und die Begeisterung, mit der Natty den Stripperinnen im Sexpalast Dollarscheine zusteckte, wenn sie ihre Brustquasten kreisen ließen (ihr Versprechen von »New Orleans’ nackte Haut meterweise« konterte die Konkurrenz von gegenüber mit »New Orleans’ Frischfleisch pfundweise«), hatte Marcus nie aufbringen können. Selbst der neue Reiz der Jazzclubs hatte nachgelassen, als Marcus merkte, dass er ebenso zum leicht verschleppten Backbeat der New-Orleans-Version des Blues nickte wie das gesamte Publikum. Ihm schien das weniger gemeinsamer Genuss als vielmehr konformer Konsum.    
    Marcus wollte etwas Echtes spüren. Er wollte mit dem Taxi von den berühmtesten Straßen der Stadt weggefahren werden, durch den schlammigen Morast der Außenbezirke bis hin zum Tempel einer Voodoo-Priesterin, die unter dem Namen »The Queen« bekannt war. Wie Marcus von Eingeweihten erfahren hatte, war die Queen mit unerreichten Fähigkeiten in der Hexenkunst gesegnet (oder geschlagen) und wurde in dieser Stadt, in der es mehr zugelassene Schamanen als Schullehrer gab, weithin als die beste Zauberin angesehen. Man hatte ihm erzählt, dass die Queen nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten legte, wie Schmuckmasken, orgiastische Tänze oder andere handelsübliche Albernheiten, die Touristen anlockten. Sie bewarb ihr Talente nicht, sondern verließ sich allein auf Mundpropaganda. Ihr Auftreten war barsch und knapp, sie bat ihre Kunden nicht mal ins Haus, sondern machte ihnen sehr deutlich, dass sie nichts lieber wollte, als sie so schnell wie möglich von ihrer Veranda zu kriegen. Die Queen nahm als echte Künstlerin nicht von jedem Geld, sondern nur von denen, die den Segen der Loa (der Geister, die über die Erde wachten) erhalten hatten. Ihre Dienste – Wahrsagerei vor allem, manchmal auch Wunderheilung oder ein gelegentlicher Zauber, wenn die Geister sie dazu bewegten – ließen sich nicht anhand irgendeines Reiseführers bewerten. Doch wenn die Loa für Marcus votierten, dann würde die Queen ihm die tiefgründigste spirituelle Vorhersage angedeihen lassen, die sich kriegen ließ … und das nur, indem sie seine Hand hielt.
    Diese letzte Information zog Marcus in den Bann. Es war so unfassbar dreist. Er hatte ihre Nummer durchschaut und wusste genau, der abgelegene Ort war genauso eine Touristenfalle wie die Jazzbars oder Stripclubs im French Quarter, bloß dass diese ein bisschen mehr Einsatz verlangte, als weniger abenteuerlustige Besucher investieren wollten. Allein schon aus diesem Grund war seine jämmerliche Jagd nach Authentizität ein viel schlimmeres Klischee als die Verbindungsstudenten im French Quarter, denn immerhin kotzten die Brüder von Sigma Chi nicht unter dem Vorwand in die Nebengassen, sie »suchten das Echte«. Doch für Marcus, der zahllose Stunden in schweigender Meditation Erleuchtung gesucht hatte, war auch ein falsches Versprechen augenblicklicher Wahrheit unwiderstehlich.
    Es sollte hier angemerkt werde, dass er am Abend seines Besuchs bei der Queen getrunken hatte. Nach zehnjähriger Abstinenz als trockener Teenage-Alkoholiker hatte er sich im ersten Semester an der Uni wieder mit dem Stoff vertraut gemacht. Er trank nicht häufig und hatte nie vor, sich zu betrinken, doch der jahrelange Verzicht hatte seinen Stoffwechsel vom Alkohol entwöhnt, und er vertrug nichts mehr. Den verwirrenden Schwindel, den Marcus nach zwei Bier spürte, würde man eher bei einem einen Kopf kleineren, zwanzig Kilo leichteren weiblichen Wesen erwarten.
    In diesem zart angesäuselten Zustand also hatte Marcus seine Audienz bei der Queen. Selbst im Rückblick war er sich nicht mehr im Klaren, ob der Alkohol oder eine echte spirituelle Krise ihn in dieses Viertel getrieben hatte, wo einige der schäbigen Hütten schon dem Verfall geweiht schienen, seit das erste Miststück – Hurrikan Betsy im Jahr 1965 – zugeschlagen hatte. Doch als er sich vor
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