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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel
Autoren: Megan McCafferty
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lassen. Sie stellt sich vor, wie er ihn achtlos in eine der Wohnheim-Waschmaschinen seiner Universität wirft, zusammen mit T-Shirts, Jeans und Unterwäsche, und wie die zarten Kaschmirfäden sich immer weiter auflösen.
    Â»Geh«, drängt er sanft und zeigt in Richtung Gate C-88. »Verpass deinen Flug nicht.«
    Sie zieht ein zerknülltes Papierhandtuch aus der Vordertasche ihres Kapuzensweaters, wischt sich die Nase und zuckt zustimmend mit dem Kopf. Sie verabschieden sich hastig, ohne Umarmung, nicht mal ein Händedruck, ehe sie in Richtung Flugsteig eilt.
    Â»Tut mir leid, dass ich dich umgerannt habe«, ruft Jessica, fast ohne sich umzublicken, während sie vorwärtsstürmt.
    Mir sollte es auch leidtun , denkt Marcus. Tut es aber nicht.
    Und dann ist sie wieder weg.
SECHS
    Jessica ist außer Atem, doch sie hört nicht auf zu rennen. Keuchend nimmt sie Tempo auf.
    Ein neues Mantra: Das ist nicht passiert. Sie rennt so schnell wie noch nie, obwohl sie die Handballen in die Augenhöhlen presst, um Tränen oder Erinnerungen wegzudrücken oder beides. Das ist nicht passiert. Ein Teil ihres Hirns will die Hände wegnehmen, sich umschauen und ihr verzweifeltes Leugnen widerlegen. Das ist nicht passiert. Sie will sich umsehen und ihn betrachten, Marcus Flutie, der in allen Punkten nach zerknautschtem Doktoranden aussieht, Kleidungsstil (der Pullover, die abgeschabte Feincordhose), Frisur (der verzupfte Bürstenschnitt), Brille ( Brille? Sie schaut im Geist noch einmal hin. Er hatte eine Brille auf, oder? Seit wann trägt Marcus eine Brille? ). Nur dass Marcus nicht promoviert, sondern immer noch an seinem ersten Abschluss arbeitet, ein Langzeitstudent vorm Examen, sechsundzwanzig Jahre alt. (Macht er dieses Semester Examen? Pünktlich? Nur vier Jahre zu spät?)
    Pünktlich. Zu spät. Sie hat jetzt keine Zeit, über diese Fragen nachzugrübeln, denn sie ist immer noch late late late for Gate C-88 . (Das war doch keine nervige Emo-Brille, oder?) Sie kämpft gegen die Versuchung, aus irgendeinem Grund zurückzuschauen. Vielleicht um sich zu entschuldigen. Oder sich zu erklären. (Nein, bloß eine ganz gewöhnliche Nickelbrille, glaube ich.) Ihr Gesicht glüht noch heißer; schrecklich, wie sie auf ihn gewirkt haben muss, sowohl äußerlich als auch im Verhalten. (O Scheiße.) Wieso stand er da eigentlich mitten auf dem Flughafen herum? Hat er meditiert? Inneren Frieden gesucht, ohne sich um Mitreisende zu kümmern? Marcus Flutie, der mitten im Chaos der Abflughalle stand, das musste ja einen Unfall geben. Und es hatte ihn gegeben. Endlich.
    Jessica fragt sich, wer wohl als Erster von ihrem denkwürdigen Zusammenprall erfahren wird und wann. Seit der Trennung ist ein solches Wiedersehen in Jessicas engstem Freundeskreis beschlossene Sache. Sie alle würden nicht nur eine lückenlose szenische Darstellung des Vorfalls verlangen, sondern hätten auch definitiv ein Anrecht darauf. Und an jedem anderen Tag hätte Jessica ihnen den Gefallen getan. Hätte ihnen alles erzählt, angefangen damit, wie ruhig Marcus darauf reagiert hat, von seiner Ex-Freundin auf dem Flughafen in Newark umgerannt zu werden, als hätte er damit gerechnet, nicht so wie ihre Freunde »eines Tages«, sondern genau in diesem Augenblick, und als hätte er deshalb an genau dieser Stelle gewartet, auf der Geraden unter den Ankunft- und Abfluganzeigen, vor den Herrentoiletten, weil er wusste, dass sie genau dort entlangkommen würde.
    Aber nicht heute. Nein. Auch vor dem Zusammenstoß gab es schon genug Gründe, warum heute nicht sie im Mittelpunkt stehen sollte. Und weil Marcus Flutie das ganz bestimmt auch nicht sollte, drängt sie ihn aus ihren Gedanken. Sie bleibt in Bewegung. Sie muss in Bewegung bleiben, wenn sie ihren Flug noch irgendwie kriegen will. (Ich darf diesen Flug nicht verpassen.) Bridget und Percy haben keine Einwände gegen Jessicas Bedürfnis geäußert, vor der Weiterreise auf die Jungferninseln noch einen Boxenstopp in Pineville einzulegen, weshalb sie jetzt ein noch schlechteres Gewissen hat, dass sie nicht an den vorhergehenden Brautpartys teilgenommen hat. Sie kann kaum hoffen, rechtzeitig zum heutigen Polterabend zu kommen, selbst wenn sie den Flug (Ich werde diesen Flug nicht verpassen) noch erwischt. Aber zur morgigen Hochzeit muss Jessica da sein, weil sie schließlich Zeremonienmeisterin ist.
    Das ist nicht
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