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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel
Autoren: Megan McCafferty
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Milliarden eingelassen zu haben. Aber wenn sich nun herausstellt, dass der vertraute Name zu ihrem vertrauten Gesicht gehört? Das Risiko eines so unwahrscheinlichen Ausgangs ist Marcus nicht zu berechnen in der Lage. Doch er kennt sich gut genug, um zu wissen, dass die Macht seiner masochistischen Phantasie aus der feigen Alternative – es nie zu erfahren, sich ständig zu fragen: War sie es? War sie es? War sie es?  – eine Strafe machen würde; viel schlimmer als jeder unangenehme Smalltalk.
    Er wendet sich von den Monitoren ab, weil seine Pupillen von der orangefarbenen Schrift auf blauem Hintergrund vibrieren. An der Wand direkt vor seiner Nase hängt ein digitales Werbedisplay für die Geschäfte des Newark Liberty International Airport. Noch ehe er richtig merkt, was er tut, sieht Marcus die Werbung wechseln.
    Das Bild: eine mit Goldfolie ausgeschlagene Schachtel Gourmetpralinen.
    Die Worte: SIE VERMISSEN.
    Das Bild: eine Kette schwarzer Südseeperlen.
    Die Worte: SIE WIE VERRÜCKT VERMISSEN.
    Verblüfft von der plumpen Direktheit schaut Marcus weg und lacht über sich selbst.
    Nein. So ein narzisstischer Narr kann er nicht sein, dass er diese Zeichen als ZEICHEN nimmt. Drei Jahre hat er gebraucht, um sich endlich zusammenzureißen, und er weigert sich, unter so einem alltäglichen Zufall einzuknicken. Tatsächlich hat er sich gerade mehr oder weniger überzeugt, dass Natty Recht hat, dass es auf gar keinen Fall seine Jessica Darling sein kann, die da über die Lautsprecher aufgerufen wird, dass es gar keinen Grund gibt, Gate C-88 anzusteuern, um diese Unmöglichkeit mit eigenen Augen zu bestätigen, denn es ist nicht, es kann nicht seine Jessica Darling sein (wieso kribbelt seine Haut immer noch in erwartungsvoller Vorahnung?), als seine Jessica Darling ihn heftig rammt und zu Boden stürzt.
VIER
    Ein Körper in Bewegung. Ein Körper in Ruhe. Kräfte, die im Bruchteil einer Sekunde – Crash!  – aufeinandertreffen. Verbrauchte Energie, ausgetauschte Energie, bewahrte Energie. Ausgefahrene Ellbogen, gebleckte Zähne. Elastische Arme, schlaffe Kiefer. Diese Frau und dieser Mann, eine lebende Demonstration von Newtons Drittem Gesetz.
FÜNF
    Jessica verflucht sich, während sie auf den Marmorfliesen herumkrabbelt. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und mit Händen und Füßen nach ihrem Handgepäck tastend, sieht sie aus wie ein verzweifelter, auf dem Rücken liegender Käfer. Sie findet die Tasche und stemmt sich hoch, denkt sich, dass eine knappe gegenseitige Entschuldigung der Weg des geringsten Widerstands sein dürfte, der schnellste Weg vorbei an diesem Fremden, dieser Belästigung, diesem Hindernis, dessen Füße in abgetragenen Vans stecken. Schon viel zu viele Blicke ruhen auf ihnen und fragen sich, was wohl als Nächstes passieren wird. Eine kampflustige Konfrontation würde nur noch mehr Gaffer anlocken, und sie will nicht noch mehr Leute im Weg stehen haben.
    Marcus wartet, bis sie sich erhebt, ehe er es riskiert. »Jessica?«
    Zuerst dringt die Stimme zu ihr durch, nicht so sehr der korrekte Vorname. Ihr Kopf zuckt hoch, und als ihre Augen die Ohren bestätigen, stockt ihr der Atem, und die Hände fliegen ihr vors Gesicht. Sie atmet durch die Handflächen ein und aus, einmal, zweimal, ehe sie die Hände wieder wegnimmt. Wie durch ein Wunder ist er immer noch da. Zum ersten Mal, seit sie heute Morgen aus dem Bett geschossen ist, steht sie vollkommen still.
    Â»Marcus!«
    Er bestätigt nickend, was offensichtlich ist, aber immer noch unglaublich scheint.
    Â»Marcus«, wiederholt sie leiser.
    Wieder nickt er.
    Â»Ich …«, fängt sie an. »Ich bin …«
    Sie stehen nur Zentimeter voneinander entfernt, ohne sich zu berühren. Jessica presst sich die ergonomische tropfenförmige Bordtasche an die Brust, weil sie spürt, dass der Moment für eine Umarmung vorüber ist. Eine spontane Gefühlsregung wäre jetzt zu auffällig, zu viel, zu spät.
    Â»Zu spät!«, sagt sie plötzlich. »Ich bin zu spät.«
    Hunderte Passagiere wirbeln um sie herum und von ihnen weg wie Flocken im Schneesturm.
    Â»Ach«, sagt Marcus. Er überlegt, ob er es wohl wagen kann, ihren Arm im neutralen Bereich spielerisch zu tätscheln, zwischen Ellbogen und Schulter. Hinter ihr blinkt das Bild. Die Goldfolienschachtel Gourmetpralinen. SIE VERMISSEN.
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