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Im falschen Film 1

Im falschen Film 1

Titel: Im falschen Film 1
Autoren: Vanessa Mansini
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mit Christian zu Hause zu sitzen, ein Horror für mich war. Überhaupt versuchte ich, möglichst wenig zu Hause zu sein, wenn er da war. Er war Gott sei Dank kein Mensch, der Konflikte austrug. Ich merkte, dass ihn mein Verhalten irritierte, aber er sagte nichts, machte allenfalls mehr oder weniger lustige Bemerkungen und war froh, wenn er abends an den Fernseher oder seine Xbox konnte.
    Seine Vorstellung von Heilig Abend war, dass er etwas für uns kochte – was offensichtlich ein weltbewegendes Ereignis war – und dass wir danach „endlich mal wieder“ zusammen eine Serie gucken oder „Grand Theft Auto V“ spielen würden, denn das hatte ich ihm angesichts diverser winkender Zaunpfähle zu Weihnachten geschenkt. Er behauptete, dass ich früher auch total auf solche Spiele gestanden hätte. Als es dann lief, erinnerte ich mich tatsächlich an erstaunlich viele Passagen des Vorgängers „Grand Theft Auto IV“, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich auch damals nur daneben gesessen hatte, während Christian wie ein Teenager Niko Bellic Liberty City hatte kurz- und kleinschießen lassen. Denn mir gab das nichts. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich die ganze Zeit mit den Gedanken woanders war, während mein Mann an diesem Heiligen Abend Los Santos unsicher machte. Wieso meldete Tom sich nicht? Hatte ich etwas Falsches gesagt? War seine Frau wieder da? Oder hatte ich einfach alles komplett falsch interpretiert und er fand mich gar nicht so interessant?
    Am späteren Abend kam sogar Christians Tochter Paula kurz vorbei, um sich ihr Geschenk abzuholen. Bis dahin hatte ich sie noch nicht kennengelernt. Man schien kein sehr inniges Verhältnis zueinander zu haben. Mit seiner Ex-Frau, einer Schauspielerin, kommunizierte Christian nur per SMS und Paula musterte mich so verachtend, dass ich mir bald sicher war, dass sie mich schon seit langem aus tiefem Herzen hasste. Sie war eigentlich ein hübsches Mädchen, das dies aber unter tief hängenden Hosen und einem Kapuzenpulli verbarg. Und ihr Gesicht mit einem unpassenden Nasenpiercing verschandelte. Fehlte eigentlich nur noch ein Skateboard. Dabei hatte Christian mir von ihr vorgeschwärmt, dass sie eine absolut begeisternde Musikerin sei – mit einem Talent für die Gitarre und toller Stimme. Alles, was ich von der Stimme zu hören bekam, war: „Wenn du echt so alles vergessen hast, dann willste mir jetzt wahrscheinlich auch erzählen, dass du von den fünfzig Euro nix mehr weißt.“
    „Fünfzig Euro?“, fragte ich sie freundlich.
    „Die ich dir geliehen habe, vorletzte Woche.“
    „Paula, red’ doch keinen Quatsch!“, mischte sich Christian ein. „Warum solltest du ihr Geld leihen?“
    „Ey, seit wann bist du denn auf ihrer Seite?“, fragte Paula ihren Vater, was ihn tatsächlich kurz verunsicherte.
    „Paula! Was soll denn das?“
    „Ey, ich hab ihr echt fünfzig Euro geliehen!“
    „Das ist durchschaubar!“
    „Das war aber so! Vor zwei Wochen. Als ich mich mit Mama gefetzt habe. Und hier gepennt hab’.“
    Mir wurde es zu blöd. Ich ging wortlos zu meiner Jacke und suchte nach dem Geld.
    „Trixi, lass! Sie erzählt Quatsch.“
    „Ich weiß nicht, ob sie Quatsch erzählt, Christian. Ich kann mich nicht erinnern.“
    „Warum hast du mir dann nie davon erzählt?“, fragte er mich.
    Nur mit Mühe bekam ich fünfzig Euro in meinem Portemonnaie zusammengekratzt.
    „Vielleicht wollte ich dich mit irgendwas überraschen!“
    Er schüttelte stöhnend den Kopf. Ich ging mit dem Geld zu Paula und reichte es ihr. Dabei war ich mir hundertprozentig sicher, dass sie mich reinlegte. Trotzdem lächelte ich sie freundlich an. Sie nahm das Geld mit einem kaum sichtbaren Grinsen. Bevor ich es losließ, sagte ich mit Honig in der Stimme: „Wenn eines Tages die Erinnerung zurückkommt und ich rausfinde, dass du mich verarscht hast, hänge ich dich an deinem hässlichen Piercing an die nächste Laterne.“
    Huch. Wo kam denn das her? Paula bekam große Augen. Damit hatte sie nicht gerechnet. So einen Spruch hatte die alte Trixi offensichtlich nicht auf Lager gehabt. Und auch wenn Paula das Geld trotzdem annahm, schaute sie mich danach sehr viel respektvoller an als zuvor. Bei ihrer Verabschiedung war sie ungefähr zehnmal so freundlich zu mir wie bei der Begrüßung. Und ich rätselte einmal mehr, wie ich in Christians Welt geraten war.
    Natürlich hatte ich mir längst Toms Kontaktdaten aus dem Computer in der Videothek abgeschrieben. Dort stand
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