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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger
Autoren: Nicole Rensmann
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Krammetsvögeln. Eine weitere bunt gefiederte Drossel hatte sich zu dem wartenden Schwarm gesellt.
    Leise und traurig begrüßten sie ihr neues Mitglied, während sie den Ort verließen, um ihre Aufgabe zu erledigen.
    Sie flogen nach Bergisch Born – dorthin wo ihre Artgenossen knusprig gebraten auf den Tellern der zahlreichen Gäste lagen, doch sie scheuten nicht den Ort. Die Rache trieb sie an.
    Tschack-tschack-tschack.
     
    Keine zwei Stunden später verspeisten die beiden Mörder zahlreiche gebratene Vögel. Und während der Größere genüsslich das Fleisch vom Knochen zupfte, flüsterte er seinem Bruder zu: »Die verraten uns nicht mehr.«
    Der Kleinere lachte und sagte ein bisschen zu laut: »Und die Leiche werden sie auch keinem mehr zeigen.«
    »Benötigen Sie noch etwas?«, fragte der Wirt, er hatte die Worte der Männer vernommen, und er ahnte nichts Gutes.
    Als wollte der Himmel seine Vermutung unterstreichen, schwoll ein lautes Rauschen an, und die Luft vibrierte: Hunderte von lebenden Krammetsvögeln suchten das jährliche Fest heim.
    Tschack-tschack-tschack.
    Sie griffen nicht alle Besucher an, sie attackierten nur die beiden Männer, die Josef für ein bisschen Bares getötet hatten und nicht von ihm ließen, als sie das Geld schon hatten. Der Wirt, ein gläubiger Mann, sah darin ein Zeichen Gottes und schickte seinen Burschen zur Kellnerei.
    Erst als die Männer, das Gesicht blutüberströmt und mit Kot bespritzt, schrien: »Ja, wir waren es, wir haben den Boten getötet!« und daraufhin festgenommen wurden, ließen die rachsüchtigen Vögel von ihnen ab. Doch sie flogen nicht von dannen, sondern wiesen den Versammelten den Weg zu Josefs Leichnam, sodass er eine würdige Ruhestätte bekam und ihm ewig gedacht wurde.
     
    Nur einer der Krammetsvögel war zurückgeblieben und hatte einen anderen Weg gewählt. Er war zu Lenas Hütte geflogen, hatte sich auf das Fenstersims gesetzt und an den Beeren herumgepickt, die für ihn und seine Freunde bereitlagen. Im Inneren der Hütte hörte er den ersten Schrei eines Babys – Josefs und Lenas Sohn.
    Tränen, wie gläserne Perlen, ließen die Beeren wie Rubine wirken.
    Niemand hatte zuvor gewusst, dass Krammetsvögel weinen konnten.
     
    *****
     
    An diese Tat erinnert noch heute ein Kreuz, das in der Nähe des Jakobswegs (an der früheren Heerstraße Köln-Lennep-Dortmund) bei der Remscheider Eschbachtalsperre steht und die Inschrift trägt: »Bitte für die Seele des Herrn Josef Waizels, dessen Überfall dieses Kreuz gesetzt ist, zum Gedächtnis an den 17. Oktober im Jahre des Herrn 1554.«

     
    Zahlreiche Sagen ranken sich um den Mord. Mit »Der Krammetsvogel« reihe ich eine weitere Geschichte über das Verbrechen an Josef Waizel an.

Die Wahrheit über Mona Lisa
    (2009)
     
    »Jede Erkenntnis beginnt mit den Sinnen.«
     
    Eine Frühlingsbrise wehte durch das geöffnete Fenster und brachte mit einem Rest winterlicher Kälte den alten Fischgestank vom Markt hinein. Leonardo erschauderte. Er blickte hoch und dem neugeborenen Tag entgegen. Die ersten Sonnenstrahlen dieses Jahres versetzten Florenz in ein Zwielicht, in das er mit zusammengekniffenen Augen sah. Wie so viele Nächte, hatte er auch diese gearbeitet. Allein. Nur die Stille an seiner Seite, die ihn inspirierte.
    Kritisch betrachtete er die von der Natur geschaffene Landschaft vor seinem Fenster, dann die durch seine Hand entstandene auf dem dünnen Pappelholz, das vor ihm auf der Staffelei stand. Zwischen den ineinanderfließenden Flüssen und Wegen, plante er sie zu platzieren: Lisa del Giocondo.
    Dass ihr Gatte Francesco auf einen kurzlebigen Untergrund bestanden hatte – Leonardo wählte üblicherweise Nussbaum –, stimmte ihn nicht traurig, er kannte die Menschen gut, ihren Geiz auf der einen und ihre Gier auf der anderen Seite. Sie verlangten nach einem Gemälde aus der Hand eines Könners, doch sie zahlten nicht für gutes Material, nur für gute Arbeit. Er hatte es aufgegeben zu erklären, dass beides für die Langlebigkeit der Gemälde zusammengehörte.
    Erst vor Kurzem war Leonardo, in Trauer um seinen zu Tode gekommenen Freund Vito Luzza, nach Florenz zurückgekehrt. Auf der vergeblichen Suche nach technischen und wissenschaftlichen Herausforderungen hatte er dem Krieg zu nah in die Augen geblickt. So vielen Tyrannen hatte er gedient, ihre Mätressen malen, Kanäle und Brücken bauen oder ihnen als Gesprächspartner zur Verfügung stehen müssen. Er hatte kriegerische Mordtaten mit
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