Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
die Markthändler nach Arbeitsschluß; mit großen roten Pranken, in den Furchen noch Streifen von Fischblut. Es kamen pensionierte Industriearbeiter in einfarbigen Arbeitshemden, die bis zum Halsbündchen zugeknöpft waren, husteten häßlich und rauh über den Schaum auf den Biergläsern, hauten auf den Tisch und verlangten nach mehr. Ein kleiner Kontorist mit dünnem Haar, weißem Hemd und blutarmem Schlips schlug behutsam die Nachmittagszeitung auf, duckte sich hinter dem halben Liter und schob die Heimkehr zur Madam um noch eine halbe Stunde hinaus. Junge, redselige Burschen vom Lande, die so früh am Nachmittag dem Abend schon so nah waren, daß man sie sonst nirgends mehr hereinließ, wurden an einen gastfreundlichen Tisch gelotst, verstreuten ihre letzten Scheine um sich und prosteten einander mit geröteten Gesichtern zu, bevor sie ein paar Stunden später auf allen Vieren, vom Türsteher und, wenn sie allzu übermütig wurden, vielleicht ein oder zwei Kellnern hinausbefördert, aus der Tür krochen. Einige wenige Frauen – die meisten weit über fünfzig – fanden freie Plätze und bekannte Gesichter an den meisten der Tische. Sie tranken Bier aus kleineren Gläsern und saßen in ihren Mänteln da, bis sie sie zu fortgeschrittener Stunde aufknöpften und die schweren Brüste hinter blauen Mohairpullovern prangen ließen, die vor zwanzig Jahren modern gewesen waren.
    Durch die Fenster nach Norden sickerte durch nikotinvergilbte Gardinen das Nachmittagslicht herein, und zwischen den Fenstern hingen bräunliche Keramikreliefs auf grünem Grund. Ganz hinten im Raum, wo die Theke stand, schilderte ein großes Wandgemälde in verblaßtem Blau vor gelblichem Gipsgrund die Geschäftigkeit des Hafens, damit der größte Teil der Kundschaft sich zuhause fühlte. Kräftige Pranken hoben schwere Fässer gegen dunkle Schiffswände.
    Die Decken auf den Tischen waren verschiedenfarbig, und wenn du von der Straße hereinkamst, konnte es aussehen, als seien sie nach einer Art Muster aufgelegt; aber wenn du eine Weile gesessen hattest, sahst du, daß sie je nach Laune des Schicksals gewechselt wurden, sobald zuviel Bier oder Asche darauf verschüttet worden war. Die Kellner glitten in burgunderroten Jacken zwischen den Tischen hindurch, verteilten große Gläser an die Auserwählten und wechselten Tischdecken mit einer Effektivität, die einem Leichenwäscher imponiert hätte.
    Das Essen, das sie servierten, war einfach und gleichförmig, ohne weitere Raffinessen als einem Petersilienbüschel oder einem zerknitterten Salatblatt, aber es war solides, gutes Essen, von dem man satt werden konnte, ohne sich zu ruinieren. Es kam vor, daß ich dort Mittag aß, doch meistens trank ich nur ein Glas Bier oder auch zwei. Ich kaufte meistens im Vorbeigehen beim Tabakhändler nebenan ein paar Tageszeitungen, suchte mir einen kleinen Tisch hinten an einer der Wände und saß dort für mich allein.
    So vergingen die Nachmittage an drei-vier Tagen in der Woche, wie Ruderschläge auf stiller See. Die Minuten tropften auf die Wasserfläche, und ab und zu ruhtest du dich auf den Rudern aus, nur um die Zeit verstreichen zu sehen – wie die Schlagzeilen in der Zeitung vor dir: Nachrichten von gestern, die schon in Begriff waren, Geschichte zu werden.
    Nach ein paar Monaten hatten mehrere der anderen Stammgäste angefangen, mich zu grüßen, und an einem Tag Ende April kam ich mit Hjalmar Nymark ins Gespräch.
2
    An dem Nachmittag, an dem wir miteinander ins Gespräch kamen, war kaltes, durchdringendes Regenwetter mit vereinzelten kleinen, grauen Schneeflocken vermischt. Frühling war in diesem Jahr Ende März gewesen. Jetzt wanderten wir wieder rückwärts durch die Jahreszeiten, und das Wetter erinnerte eher an November als an April.
    Ich hatte den Tag damit verbracht, Postkarten an Freunde und Bekannte zu schreiben. Es blieb bei einer, an einen Typ namens Veum, der irgendwo da oben zwischen Stølen und Skansen wohnte. Er würde sich sicher freuen, von mir zu hören. Danach hatte ich den automatischen Anrufbeantworter der Kinozentrale angerufen, um mir eine dreißig-Sekunden-Ansage zu einem der Filme des Tages anzuhören. Alles, was ich trotz wiederholter Versuche zu hören bekam, war das Besetztzeichen. Weitere Anrufe unterließ ich. Es war unklug, das Konto zu sehr zu belasten. Am Tag zuvor hatte eine Annonce in der Zeitung gestanden: NEUERÖFFNUNG! Harry Monsen AG, Detektivbüro, hat jetzt eine Zweigstelle in Bergen eröffnet.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher