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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Autoren: Gunnar Staalesen
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Internationales Kontaktnetz, neueste elektronische Hilfsmittel, Überwachungsdienst, Personenermittlungen, Nachforschungsaufträge aller Art. Erstklassige Mitarbeiter, hundertprozentige Diskretion. Ich hatte die Annonce genau studiert und fragte mich, was sie wohl mit ›erstklassig‹ und ›hundertprozentig‹ meinten. Vielleicht sollte ich anrufen und fragen – oder jedenfalls anrufen und ihnen viel Glück wünschen. Die Telefonnummer stand in der Annonce. Mobiltelefon hatten sie auch. Alles, was ich hatte, war ein schlummerndes Telefon und ein Morris Mini, den auszuwechseln ich mir nicht leisten konnte, der aber längst reif war für die ewigen Asphaltgründe. Kein Zweifel, ich ging härteren Zeiten entgegen.
    Es war ein Tag, um sich an ein oder zwei Gläsern zu stärken, und glücklich draußen im Regenwetter, schlug ich den Mantelkragen hoch, zog den Regenhut tief in die Stirn und trabte das kurze Stück zum Lokal.
    Das Lokal hatte noch eine Besonderheit. Wenn du hereinkamst, schien es immer, als sei volles Haus, aber sahst du dich ein wenig um, war immer irgendwo ein freier Platz. An diesem Nachmittag sah es allerdings aus, als hätte der Regen alles, was sich sonst auf der Straße herumtrieb, hereingescheucht, und ich konnte mich gerade noch an einen winzigen Tisch zwängen, auf dem weiße Aschenbecher mit Reklame für italienischen Wein gestapelt standen.
    Ein Kellner kam und räumte die Aschenbecher weg, bevor er fragte, was ich haben wolle. Ich bestellte ein halbes Pils und ein Walsteak und sah mich im Raum um. Es dampfte aus nasser Kleidung, und roch nach selbstgedrehten Zigaretten und längst erloschenen Pfeifen. Breite Schultern beugten sich über weiße Teller, große Pranken griffen um halbvolle Gläser, die der Besitzer in einem Zug leerte, bevor er sich mit kräftigem Oberkörper umwandte und wie jemand, der sich verstohlen über die Schulter blickt, nach dem Kellner sah.
    Hjalmar Nymark kam aus dem Regen herein, strich das nasse Haar zurück und schüttelte das Wasser vom Mantel. Er sah sich um. Es war kein Tisch mehr frei, aber gleich neben meinem stand ein leerer Stuhl. Er kam ruhig herüber. Als er vor mir stand, nickte er freundlich und sagte:
    »Ich sehe niemanden, den ich kenne. Ist hier Platz?« »Wenn du nicht zuviel Ellenbogenfreiheit brauchst, schon.«
    Ich rückte meinen Stuhl näher an den Pfeiler, an dem mein Tisch stand. Dann stand ich auf und wir gaben einander die Hand. »Veum. Varg 1 Veum.«
    1 Varg: neunorwegisch für Wolf
    Er gab mir eine Hand, die nicht so groß und kräftig war, wie ich erwartet hatte. »Hjalmar Nymark.«
Er rückte den freien Stuhl an den Tisch heran und hängte den nassen Mantel über den Stuhlrücken, bevor er sich setzte. Als der Kellner kam, bestellte er ein halbes Pils und einen Teller Eintopf. Er fischte die zusammengerollte Zeitung aus der Manteltasche und saß dann mit ihr in der Hand da.
»Scheußliches Wetter«, sagte er.
Ich nickte und war einer Meinung.
»Aber sie sagen ja, daß die Sommer jetzt in den 80er Jahren kälter werden sollen.«
»Hört sich vielversprechend an«, sagte ich.
Er sah mich prüfend an, offen und ohne den Versuch, es zu verbergen.
»Na, und was treibst du so, Veum? Oder warte mal – laß mich erstmal versuchen. Ich war früher mal ganz gut darin.«
»Worin?«
»Leute einzuordnen.«
»Such mir einen Platz ganz hinten auf dem untersten Bord, da gehöre ich hin.«
»Unter den Extrapreisen?« schmunzelte er.
»Ich weiß nicht, ob ich es als Preis bezeichnen würde«, antwortete ich, lächelte schief und fuhr mir durchs Haar. Das Grau darin war noch nicht mehr als ein Schimmer, aber wenn die Sommer der 80er Jahre vorbei waren, würde der Schnee sicher nie wieder daraus verschwinden.
Er maß mich vom blonden Haar über das frühlingsbleiche Janusgesicht, das am Hals offene, blaue Jeanshemd, die etwas verschlissene Jacke, den blauen Pullover mit V-Ausschnitt darunter bis zur braunen Cordhose. Er warf einen Blick auf den Mantel, der über dem Stuhlrücken hing. Seine Stimme war dunkel und wohlwollend, als er sagte: »Deiner Kleidung nach zu urteilen, würde ich dich irgendwo unter den niederen Angestellten der Universität einordnen. Universitätslektor oder sowas. Oder vielleicht irgendwas in einer Bibliothek.«
»Mit anderen Worten, ein leicht verstaubter Eindruck?«
»Nicht gerade verstaubt. Aber jedenfalls nicht sonderlich wohlhabend. Auch nicht modebewußt, aber das kommt wahrscheinlich daher, daß du es dir nicht leisten
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