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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Autoren: Gunnar Staalesen
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Kleine Jungs sind seitdem aufgewachsen und hatten ihre ersten Frauen.«
Ich dachte zurück. 1962, da war ich zwanzig und hatte längst meine ersten Liebeserlebnisse gehabt. Eine Karriere war gerade zuende, eine andere hatte eben erst begonnen. So zieht das Leben seine Fäden durch uns und näht seine Muster, unsichtbar, aber unerbittlich.
»Wie lange ist es her, daß du …« Er beendete die Frage nicht.
Ich nippte am Glas und lächelte schräg über die rotbraune Flüssigkeit.
»Vor einem halben Jahr ungefähr, in Stavanger.«
Er sah hinunter in sein eigenes Glas, schielte dann plötzlich zu mir hoch, und es war wieder etwas von dem alten, humorvollen Funkeln in seinen Augen. »Dann hatten wir beide unsere letzten Liebeserlebnisse in Rogaland.« Kurz darauf kam nachdenklich: »Ja, Bergen ist eine kalte Stadt.«
»Nicht kälter als andere Städte«, sagte ich. »Aber du fühlst dich oft in deiner Heimatstadt besonders einsam, weil es gerade da nicht so sein soll. In anderen Städten ist es – in gewisser Weise – natürlich, daß du allein bist. Und gleichzeitig bietet es dir neue Jagdreviere, eine plötzliche Freiheit, die du da, wo du herkommst, nicht hast.«
Hjalmar Nymark stand auf, ging zur Wand und schaltete eine Wandleuchte an. Sie füllte den Raum mit einem gelblichen, matten Schein. Draußen floß die Dämmerung in Strömen gegen die Fensterscheiben. Hier drinnen saßen zwei Männer, einer siebzig, der andere vierzig Jahre alt, mit zwei Gläsern und einer Flasche auf dem Tisch zwischen sich und sprachen von Einsamkeit.
Wir tranken eine Weile stumm. Ich sagte: »Du wolltest mir von Pfau erzählen, oder nicht?«
Er sah mich an, mit einer anderen Ferne im Blick. »Erinnerst du dich nicht einmal an ihre Inserate? Ein Pfau mit ausgebreiteten Schwanzfedern. Auf den Plakaten in allen möglichen Farben. Ein großes Exemplar war an die Nordwand gemalt, die dir entgegenleuchtete, wenn du den Fjøsangervei entlangfuhrst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich muß zu klein gewesen sein. Das einzige, was ich erinnere, ist dieser kerngesunde Typ mit dem gestreiften Pullover und einem Zahnpastalächeln, als ob er uns empfehlen wollte, unsere Zähne mit weißer Lackfarbe zu putzen.«
Er stand auf und ging in das Zimmer hinter der hellgrünen Tür. Als er zurückkam, hatte er einen länglichen, braunen, verschnürten Pappkarton bei sich. Er setzte ihn mit einem schweren Klatschen auf dem Boden ab.
»Hier – ist alles Material, das ich über Pfau gesammelt habe«, sagte er, setzte sich wieder an den Tisch, schenkte sich einen neuen Schnaps ein und goß gleich auch in mein Glas.
»Es wirkt gewichtig«, sagte ich. »Was ist das für Material?«
Er klappte ein Taschenmesser auf und durchschnitt die Schnur um den Karton, griff hinein und zog eine Handvoll Papiere hervor. Die reichte er mir. »Ein großer Teil sind Zeitungsausschnitte. Außerdem habe ich Kopien aller Verhöre und technischen Untersuchungen, die nach dem Brand gemacht worden sind.«
Oben auf dem Stapel lag ein vergilbter Zeitungsausschnitt. Die Aufmachung zeigte, daß es ein Artikel aus den frühen 50er Jahren war. Die Layout-Abteilungen der Zeitungen waren noch nicht von Marketingstrategen beherrscht, und obwohl dies unzweifelhaft ein Titelseitenartikel war, enthielt er reichlich Information. Die Schlagzeile lautete: 15 Tote bei explosivem Brand. Dann stand in kleinerer Schrift: Pfau Farben im
    Fjøsangervei brannte gestern bis auf den Grund ab. Aus dem Text ging hervor, daß Leute aus der Nachbarschaft ungefähr um 14.25 Uhr eine kräftige Explosion gehört hatten. Gleich darauf entdeckte man, daß das Fabrikgebäude in Flammen stand, und als die Feuerwehr um 14.35 Uhr ankam, brannte der gesamte Komplex. Am schlimmsten betroffen war die Produktionshalle, alle fünfzehn, die bei dem Unglück getötet wurden, arbeiteten dort. Am wenigsten beschädigt war der Verwaltungstrakt. Es wurden umfassende Rettungsarbeiten durchgeführt, um eventuelle Überlebende herauszuholen, und ein dramatisches Foto zeigte Feuerwehrleute, die, zwischen Girlanden schäumenden Wassers hindurch, Verletzten aus dem brennenden Gebäude heraushalfen.
    Ein Hinweis auf einen Artikel auf Seite 8 führte mich weiter zum nächsten Ausschnitt. Vor der schwarzversengten Brandstelle waren zwei Frauen abgebildet, eine junge, dunkelhaarige mit hochgestecktem Haar, eine ältere mit Hornbrille, einem Mund wie ein Eulenschnabel und einer Frisur wie ein Tausendschönchen. Der Bildtext lautete: Bürodame
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