Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
wollte.
    »Nehmen Sie jede Art von Auftrag an, Veum?« fragte er. »Nicht jeden«, antwortete ich.
»Was für Aufträge nehmen Sie denn nicht an?«
Ich fühlte mich müde und sagte: »Erzählen Sie mir lieber, was
    ich für Sie tun soll.«
»Ich glaube – ich habe das Gefühl … Meine Frau betrügt
mich.«
Ich antwortete nicht. Auf der anderen Seite von Vågen 2 lag
das alte Segelschiff Statsråd Lemkuhl und wimmelte von
Touristen. Es erinnerte mich an einen ausgestopften Schwan,
voller Ungeziefer.
»Ich brauchte … Ich wäre gern sicher«, fuhr die Stimme am
Telefon fort.
»Wessen?«
»Daß sie mich betrügt. Meine Frau!«
»Genau solche Aufträge nehme ich nicht an.«
Es wurde einen Augenblick still. Und dann kam, heftig:
»Warum haben Sie das denn verdammt nochmal nicht gleich
gesagt?« Er besann sich und fragte etwas ruhiger: »Ist das ein
Prinzip – oder ist es ernst gemeint?«
Ich mußte lachen. »Sagen wir, es ist beides, dann liegen wir
richtig.«
»Dann rufe ich eben das andere Büro an!« schnauzte er.
»Tun Sie das. Die werden sicher nicht von sowas geplagt sein.« »Von was?«
»Prinzipien.«
»Hoho!« beendete er das Gespräch und knallte den Hörer auf. Ich saß da und starrte meinen an. Erst als ich ihn wieder auflegte, wurde mir schlagartig klar, daß das eine Drohung war, die
ich noch nie gehört hatte.
An diesem Tag schloß ich das Büro schon früh und ging direkt
ins Lokal. Hjalmar Nymark saß schon da, und als ich zur Tür
hereinkam, winkte er mich zu sich an den Tisch. Er saß allein.
die drei-vier Wochen, die wir einander gekannt hatten, waren
schnell vergangen, aber es war, als wären wir schon seit vielen
Jahren Freunde. Wir hatten einander viel zu erzählen. Ohne
direkt vertraulich zu werden, war es uns leicht gefallen, miteinander zu reden.
Das Gespräch hatte sich oft um alte Kriminalfälle gedreht,
geklärte und ungeklärte, aber das meiste, worüber zwei Männer
mit einem Altersunterschied von dreißig Jahren reden können,
hatten wir zumindest gestreift.
Manchmal wurde er besonders ernst. Einmal fragte er: »Wann
bist du eigentlich geboren, Veum?«
»1942«, antwortete ich.
»Dann erinnerst du nicht viel vom Krieg?«
»Nicht viel.«
Danach sah er lange düster vor sich hin, ohne noch etwas zu
sagen.
Ein anderes Mal sagte er: »Hör mal, Veum. Der Name Pfau,
sagt der dir was?«
Ich schüttelte langsam den Kopf.
Er fuhr fort: »Pfau Farben AG. Die Fabrik lag im
Fjøsangervei. Es gab dort ein häßliches Explosionsunglück,
1953. Die ganze Fabrik brannte nieder und viele wurden
getötet.«
»Ein Unglück?«
Er nickte bedächtig. »So hieß es. Ich war bei den Nachfor
schungen dabei. Ein schwieriger Fall.«
Etwas später am selben Abend sagte er plötzlich: »Einige Fälle
beschäftigen dich ganz besonders. Sie brennen sich ein, und du
schaffst es nicht, sie zu verdrängen. Sie lassen dich nie wieder
los.« Er schlug mit seiner Zeitung an die Tischkante. »Nie.« Irgendwie verstand ich, daß diese Dinge zusammengehörten.
Es war, als wolle er mir ein Puzzlespiel zeigen, von dem er
selbst nicht einmal alle Teile besaß.
Meistens, wenn wir miteinander redeten, hatte er ein Funkeln
in den Augen, einen humorvollen Tonfall, der mir sagte:
»Natürlich sind es tragische Dinge, die wir hier besprechen, aber
zum Teufel nochmal, Veum, das ist Geschichte – Geschichte!«
Wenn aber der Funke in seinen Augen erlosch und er ganz ernst
wurde, begriff ich, daß es um etwas anderes ging. Um etwas, das
noch nicht Geschichte geworden war, das heute noch lebte –
jedenfalls für ihn. Es war, als versuche er, mir etwas zu erzählen, ohne den Sprung ganz zu wagen.
»›Giftratte‹ – sagt dir das was, Veum?«
Ich schüttelte den Kopf. »›Giftratte‹?«
»Sie nannten ihn so. Während des Krieges.«
»Hör mal … Hat das hier was mit Pfau zu tun?«
Da sah er mich mit dunklen, unergründlichen Augen an, ohne
zu antworten. Nach einer Weile begann er, von etwas anderem
zu sprechen.
An jenem Tag im Mai wirkte er rastlos. Er trank schneller als
gewöhnlich und ich konnte mir nicht leisten, mitzuhalten. Er
sprach nervös von Brand 3 , und obwohl es in diesem Jahr in dem
Zusammenhang allen Grund zur Nervosität gab, war doch etwas
Auffälliges daran.
    2 Vågen: innerer Hafen von Bergen
3 Brand: Fußballclub in Bergen
    »Ohh, ich fühle mich alt, Veum!« stieß er hervor.
»Naja, wir haben wohl alle mal Tage, an denen wir …« »Ich schaffe nicht genug. Hab nicht mehr viele Tage vor mir.« »Du hast noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher