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Im Dunkeln der Tod

Titel: Im Dunkeln der Tod
Autoren: Mari Jungstedt
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verschlangen sich zu einem komplizierten Labyrinthsystem. Schattengestalten huschten hin und her, und er konnte das Gesicht des Mannes, den er verfolgte, nicht deutlich sehen. Er gab sich alle Mühe, nicht aufzunehmen, was er hier sah, sich dagegen zu wehren. Alle diese Eindrücke verlangten nach seiner Aufmerksamkeit, wollten unter seine Haut.
    Er verlor die Orientierung und landete vor einer Tür. Der verdammten Tür. Wenn er sie nur nicht aufgemacht hätte.
    Zwei Sekunden brauchte er, um zu registrieren, was geschah. Um zu verstehen, was er sah.
    Dieser Anblick sollte sein Leben zerstören.

SCHON IM MORGENGRAUEN lag eine gewisse Unruhe in der Luft.
    Egon Wallin hatte schlecht geschlafen und sich die Nacht hindurch von einer Seite auf die andere gewälzt. Das Reihenhaus lag am Strand, gleich außerhalb von Visbys Stadtmauer, und er hatte stundenlang wach gelegen, in die Dunkelheit gestarrt und dem aufgewühlten Meer dort draußen zugehört.
    Die Schlaflosigkeit rührte nicht von dem Unwetter her. Nach diesem Wochenende würde sein wohlgeordnetes Leben vollkommen auf den Kopf gestellt werden, und er war der Einzige, der wusste, was bevorstand. Der Entschluss war während des vergangenen halben Jahres gereift, und jetzt gab es kein Zurück. Seine zwanzig Ehejahre würden am Montag ein jähes Ende finden.
    Kein Wunder, dass er nicht schlafen konnte. Seine Frau Monika kehrte ihm den Rücken und hatte sich in ihre Decke gewickelt. Weder seine Unruhe noch das Unwetter schienen sie im Geringsten zu stören. Sie schlief mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen.
    Als die digitale Uhr Viertel nach fünf zeigte, gab er auf und verließ das Bett.
    Er schlich sich aus dem Schlafzimmer und zog die Tür zu. Das Gesicht, das ihm im Badezimmerspiegel entgegenblickte, war übernächtigt, und trotz des weichen Dimmerlichts zeichneten sich unter seinen Augen deutliche Tränensäcke ab. In der Dusche ließ er das Wasser lange laufen.
    In der Küche setzte er Kaffee auf, das Heulen des Windes an den Hausecken untermalte das Fauchen der Espressomaschine.
    Der Sturm passte gut zu seinem Gemütszustand, der ebenso aufgewühlt war. Nach fünfundzwanzig Jahren als Kunsthändler in Visbys bedeutendster Galerie, mit einer stabilen Ehe, zwei erwachsenen Kindern und einem eingefahrenen Dasein hatte das Leben eine drastische Wende genommen. Er wusste nicht, wie das enden würde.
    Die Entscheidung hatte sich schon seit einiger Zeit angekündigt. Die Veränderung, die er im vergangenen Jahr durchgemacht hatte, war wunderbar und gefährlich zugleich. Er kannte sich selbst nicht mehr, war sich aber gleichzeitig nähergekommen denn je zuvor. In seinem Körper tobten die Gefühle wie bei einem Teenager, als sei er aus jahrzehntelangem Dämmerschlaf geweckt worden. Die neuen Seiten, die er an sich entdeckt hatte, waren verlockend und machten ihm gleichzeitig Angst.
    Nach außen verhielt er sich wie immer, spielte den Ungerührten. Monika wusste nichts von seinen Plänen, sie würden sicher einen Schock für sie bedeuten. Nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hätte. Ihre Ehe war seit Langem tot. Er wusste, was er wollte. Nichts anderes zählte.
    Diese Entschlossenheit beruhigte ihn, sodass er sich auf einen der Barhocker an der modernen Kücheninsel setzte und genießerisch seinen doppelten Macchiato schlürfte. Er schlug die Zeitung auf, blätterte zu Seite sieben weiter und betrachtete zufrieden die Anzeige. Sie stand oben rechts und war gut zu sehen. Es würden viele Leute kommen.
    Ehe er den Spaziergang in die Stadt begann, ging er zum Ufer hinunter. Jeden Tag wurde es nun wieder früher hell. Schon jetzt, Mitte Februar, spürte man in der Luft, dass der Frühling näherrückte. Das Geröll am Strand war typisch für Gotland, und hier und dort ragten Steinsäulen aus dem Wasser. Seevögel flogen tief über der Wasseroberfläche, rissen die Schnäbel auf und schrien. Die Wellen wogten hin und her, ohne Rhythmus oder Ordnung. Die Luft war kalt und trieb ihm die Tränen in die Augen. Der graue Horizont kam ihm verheißungsvoll vor. Nicht zuletzt, wenn er daran dachte, was er an diesem Abend tun würde.
    Der Gedanke belebte ihn, und mit raschen Schritten legte er den knappen Kilometer in die Stadt zurück.
    Innerhalb der Stadtmauern war der Wind ein wenig ruhiger. Die Gassen lagen leer und stumm da. So früh am Samstagmorgen war kaum ein Mensch unterwegs. Oben, im Herzen der Stadt, auf dem großen Marktplatz, stieß er auf die ersten Lebenszeichen. Ein
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