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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder
Autoren: Brigitte Aubert
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bißchen spazierenzugehen«, erwidert Yvette taktvoll, ohne weiter zu insistieren.
    »Auf Wiedersehen, Elise, bis nächsten Samstag!« höre ich Virginies lebhaftes Stimmchen rufen.
    »Auf Wiedersehen, Virginie. Ich glaube, Elise wird sich sehr freuen, wenn du kommst und ihr guten Tag sagst … natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben, Monsieur …«
    »Aber nein, ganz und gar nicht! Komm, beeil dich, Virginie. Mama wartet sicher schon. Auf Wiedersehen.«
    Türenschlagen.
    Yvette geht weiter.
    »Ich weiß nicht, was er mit der Bemerkung über seinen Sohn gemeint hat, merkwürdig, ganz so als wollte er nicht darüber sprechen, sicher hat es einen Unglücksfall in der Familie gegeben. Jedenfalls mag die Kleine Sie sehr. Es ist schön, wenn man Kinder trifft, die ein Herz haben. Ich erinnere mich zum Beispiel …«
    Yvette setzt zu einem langen Exkurs über all die hinterlistigen und mißratenen Kinder an, denen sie in ihrem Leben schon begegnet ist. Ich höre nicht mehr zu. Ich denke nach. Virginie hatte behauptet, daß ihr Bruder tot sei. Das Verhalten ihres Vaters läßt vermuten, daß das stimmt. Eins zu null für das Kind. Jetzt müßte ich nur noch herausbekommen, ob er Renaud hieß. Doch wenn Virginie tatsächlich Zeugin des Mordes an dem kleinen Michael war, dann ist sie in Gefahr. Der Mörder wird sie sicher aus dem Weg räumen wollen. Es sei denn, er hat sie nicht bemerkt. Wie soll man das wissen? Ich ertrage diese Machtlosigkeit nicht. Ich ersticke, ich ersticke, ich habe das Gefühl, in einer Zwangsjacke zu stecken und einen verrückten Doktor anzuflehen, mich freizulassen. Doch es wird nie jemand kommen und mich befreien. Ich möchte schreien. Die Arme heben können. Einfach nur diese verfluchten Arme heben können.
    »O je! Sie schwitzen ja! Warten Sie, ich werde Ihnen den Schal ausziehen.«
    Ja, nimm mir den Schal ab, knote eine Schlinge und häng mich am nächsten Baum auf, damit ich wenigstens stehend sterbe, ich hab es so satt! Ich darf mich jetzt nicht auf solche Gedankengänge einlassen. Ich muß auf dem Boden der Realität bleiben. Virginie ist real. Und sie hat Probleme. Große Probleme. Ich muß wissen, wer ihr Vater ist, den Namen dieses Mannes herausbekommen. Ich muß in die Sache eingreifen. Ich muß mich bewegen können!

    Catherine die Große kommt jeden Tag und läßt mir ihre kraftvolle Pflege angedeihen. Sie ist groß und blond … schlank, sportlich, ein richtiger Aerobic-Typ mit Pferdeschwanz und Leggings. Vor dem Unfall habe ich sie manchmal im Kino mit ihrem jeweils gerade aktuellen Freund gesehen. Sie geht nur mit großgewachsenen, kräftigen Kerlen mit kurzgeschorenen Haaren aus. Ich kannte sie nur vom Sehen, hatte nie Bedarf für ihre Dienste und fand sie auch nicht sonderlich sympathisch. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, daß ich ihr heute willenlos ausgeliefert bin und daß meine Wiederherstellung von dieser engstirnigen Person abhängt, die ständig die Meldungen des letzten Fernsehmagazins herunterleiert.
    Doch in diesem Fall erweist sie sich als nützlich. Als sehr nützlich sogar. Denn sie ist nicht in der Lage, auch nur für fünf Minuten den Mund zu halten. Ich bin von äußerst redseligen Frauen umgeben. Von Schwatzsüchtigen. Welche Wohltat! Wenn man in meiner Situation ist, dankt man Gott, daß er die Klatschbase erschaffen hat. Denn ganz im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte, verspüre ich keine Lust, mich in die ehrwürdige Stille zurückzuziehen, um über die Relativität des Kosmos zu meditieren. Ich will leben. Ich bin lebendig!
    Also, Catherine die Große ist ein unerschöpflicher Informationsquell. Sie und Yvette sind meine ›Reporter vor Ort‹. Durch sie werde ich erfahren, wer Virginie ist.
    »Haben Sie die Nachrichten gesehen?« erkundigt sich Catherine die Große, während sie an meinem Unterarm zieht.
    »Nein, wieso? Wir haben im Garten zu Mittag gegessen, es war so schön draußen.«
    »Es muß nicht leicht sein, sie zu füttern«, murmelt Catherine nachdenklich, während sie meinen Trizeps knetet.
    Aber ja doch, meine Kleine, man sorgt schon irgendwie für die Bekloppte. Tut mir leid, daß deine ausgeprägte Sensibilität darunter leidet.
    Sie fährt fort.
    »Sie haben wieder etwas über den kleinen Michael gebracht. Die gleiche Reportage wie letzte Woche, Bilder vom Wald, von dem Angler, der die Leiche gefunden hat usw., denn jetzt sind sie sich sicher, daß es ein Irrer ist. Er hat schon vier Kinder umgebracht! Vier achtjährige Kinder
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