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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder
Autoren: Brigitte Aubert
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nachgefragt, Sie kennen mich ja … Ein Kind zu verlieren, ist schon eine schlimme Sache, aber zu wissen, daß es ermordet wurde …«
    In der Tat, so etwas stellt man sich nicht allzu gern vor … Renaud Fansten. 1993 bin ich viel gereist. Ich war Jurymitglied bei mehreren Filmfestivals und dann, ich erinnere mich nicht mehr warum, war das eine Zeit, in der es zwischen Benoît und mir jede Menge Spannungen gab. Sicher ist das der Grund, warum ich diesem Mord damals keine Beachtung geschenkt habe.
    Hélène und Paul Fansten. Paul. Ein Vorname, der gut zum Klang seiner Stimme paßt. Ein selbstsicherer Mann. Hat er helle oder dunkle Augen? Hat er braune Haare? Ich stelle mir seine Augen braun vor. Und Virginie ist blond, hat lange blonde Haare wie eine kleine Puppe. Werden sie uns wirklich besuchen, der schöne Paul und seine Tochter? Ich habe meine Zweifel, wenn ich daran denke.

    Ungeduldig sehnte ich den Mittwoch herbei. Ich hatte das Gefühl, die Zeit würde überhaupt nicht mehr vergehen. Dieser Zustand fieberhafter Anspannung erinnerte mich an meine ersten Rendezvous mit Benoît.
    Und heute also ist der große Tag. Ich habe das Gefühl, unter Hochspannung zu stehen. Absolut lächerlich.
    Seit dem frühen Morgen macht sich Yvette in der Küche zu schaffen. Wie ich sie kenne, mußte sie unbedingt ein kaltes Büffet vorbereiten, das selbst bei den Windsors im Buckingham Palace Ehre gemacht hätte. Sie hat mich gewaschen, angezogen, frisiert (um Gottes willen!) – wie man es bei einer Schülerin am Tag der Zeugnisvergabe tut. Ich bin sauber und adrett. Ich stecke in einem Sommerkleid aus Baumwolle (Hoffentlich ist es keins von ihr!) und sitze im Wohnzimmer am offenen Fenster. Ich frage mich, wie ich wohl aussehe. Natürlich bin ich noch immer klein, schmal und dunkelhaarig, doch ich muß inzwischen eingefallene Wangen haben, wodurch meine Nase noch länger wirkt, und sicher bin ich schneeweiß. Und dieses dumme Haar, das mir unterm Kinn sprießt? »Absolut nicht zu sehen«, sagte Benoît immer. Das sagst du so, bestimmt hängt es mir inzwischen bis zum Knie. Ein Skelett in einem Kleid mit Vichykaros und einem peinlichen Haar am Kinn, na, da lohnt sich der Besuch wenigstens! Irgendwo bellt ein Hund. Es ist komisch, daß immer irgendwo ein dämlicher Köter bellen muß. Es klingelt.
    Yvette eilt zur Tür. Ich schlucke. Ich würde mich so gerne im Spiegel betrachten, um zu wissen, wie ich aussehe. Rasche Schritte, leisere Schritte. Jemand läuft auf mich zu. Ein Stimmchen voller Lebendigkeit ruft: »Guten Tag, Elise.«
    Ich hebe den Zeigefinger. Virginie legt ihre Hand auf meine. Ihre Hand ist warm. Eine weitere Person betritt das Zimmer.
    »Guten Tag.«
    Die tiefe Stimme. Das ist er, Paul.
    »Guten Tag.«
    Eine sanfte, ruhige Stimme. Das muß Hélène sein.
    »Setzen Sie sich doch bitte«, sagte Yvette, als sie den quietschenden Servierwagen ins Zimmer schiebt.
    Das Ledersofa knarrt. Sie müssen Platz genommen haben. Ich stelle mir vor, wie sie unauffällig die Einrichtung des Zimmers mustern. Die Clubsessel, das große Büffet aus Kirschholz von meiner Großmutter, den Schrank mit der Hi-Fi-Anlage, den Fernseher, den niedrigen Holztisch, die vollen Bücherregale, den Schreibtisch, in dem ich meine Papiere aufbewahre … Ich höre, wie Virginie mit Trippelschritten das Zimmer erkundet.
    »Virginie, faß bitte nichts an!«
    »Nein, Mama, ich seh mich nur um. Guck mal, da sind ja ganz viele Kinderbücher.«
    Die habe ich von meinem Vater. Ich hatte sie aufgehoben, um sie eines Tages dem Kind, das ich mir mit Benoît wünschte, vorzulesen. Aber uns blieb dafür nicht die Zeit.
    »Darf ich eins haben und lesen?«
    »Aber natürlich, mein Mäuschen. Komm, setz dich hierhin.«
    Yvette setzt sie in den großen Sessel ganz in meiner Nähe.
    »Das Haus scheint ja recht groß!« sagt Hélène.
    »O ja, das ist es auch. Kommen Sie, ich führe Sie herum.«
    Angeregt plaudernd gehen sie aus dem Wohnzimmer. Sofort hüpft Virginie von ihrem Platz und kommt zu mir. Sie flüstert mir ins Ohr:
    »In der Schule hat die Lehrerin mit mir geschimpft, weil ich meine Hausaufgaben nicht gemacht habe. Aber ich kann nicht lernen, weil ich Angst habe. Das ist dumm, ich weiß, denn es sterben ja nur Jungen, aber man kann nie wissen. Und wenn die Bestie es sich anders überlegt? Kennst du den Film Der Sinn des Lebens? Mein Papa hat sich ein Video davon ausgeliehen. An einer Stelle kommt der Tod zu Leuten, die vergiftete Pastete gegessen haben, um
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