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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Robert Walser
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wie eine Rose, und was die Farben seiner echt handelsmäßigen Denkweise betrifft, so geben sie den feurigen einer Tulpe nichts nach. Ich sehe ihn jeden Morgen, Mittag und Abend beim Essen, und nach dem Betragen beim Eßtisch ergibt sich vieles. Er benimmt sich fast zu tadellos. Er könnte wohl hie und da etwas Flegelhaftigkeit wie süße, gelbe Sonne durchschimmern lassen, aber fällt ihm nicht ein. Geschieht das absichtlich, um mir eine bequeme Zeichnung seiner Person zu erschweren? Merkt der Bursche, wohinaus es mit ihm soll? Ah, Commis sind schlau! Jedermann wird zugeben, daß es für mich viel schwerer ist, sein tadelloses Wesen zu nüancieren, als wenn er sich nicht einwandfrei darstellte. Fehler und Schwachheiten an einem Menschen bieten einem schreiblustigen Autor die beste Gelegenheit, rasch zu Witz zu kommen, also rasch berühmt zu werden, also rasch Vermögen zu machen. Mein Statist hier scheint mir eine Karriere zu mißgönnen, aber warte Bursche, wir wollen dich schon anpacken. Der Wahrheit soll deswegen auch kein Härchen gekrümmt werden. Die feste Wahrheit ist und soll tonangebend bleiben. Unser Mann ißt wenig, alle gescheiten Leute tun das. An der Unterhaltung beteiligt er sich nur vorsichtig, wiederum ein Zeichen vorteilhafter Klugheit. Seine Worte kommen nicht, sie schleichen aus seinem Mund; nun, was kann er dafür? Vielleicht ein Fehler im Bau seiner Lippen. Er ißt mit Delikatesse, die Führung von Löffel, Messer und Gabel versteht er ausgezeichnet. Er wird rot, wenn von Unflätigem die Rede ist, eine feine Übung! Er wagt es niemals, als der erste vom Tisch wegzuspringen, das läßt er sehr taktvoll Ältere tun. Er sieht sich beständig beim Essen um, mit dem freundlichen Wunsche, jemand mit einer Handreichung zuvorzukommen. Welcher ebenso Hochgestellte täte das? Sagt ein Erfahrener am Tisch einen halben Witz, so lacht er höflich; sagt dagegen ein Lehrbursche einen ganzen, so schweigt er. Er denkt gewiß so: Was sollten halbe Witze machen, wenn man ihnen nicht mit dienstfertigem Lachen zur Tür hinaus und aus der Atmosphäre heraus hülfe? Ganze mögen unbelacht bestehen. Und dann: Wäre es nicht schrecklich, dazusitzen und ältere Leute erröten zu sehen, weil ihr Ausspruch keinen Anklang gefunden? Leser, du mußt zugeben, dieser arme einsame Commis denkt sehr edel! Ja, beim Essen studiere ich mit Vorliebe meine Leute. Noch eins: das Äußere unseres Mannes entspricht seinem Tun; und, da dieses nicht unwürdig ist, wie wir sehen, kann jenes auch nicht unschön sein.

Stumme Minuten
    Oft kommt es dazu, daß ein Commis stellenlos wird. Er ist entweder gejagt worden, oder er hat, was weit öfters geschieht, freiwillig seinen Abschied genommen. Dies tun die unruhigern Naturen unter diesem Volk, und es sind meist unglückliche Menschen. Man verachtet einen brotlosen Arbeiter lange nicht so wie einen stellenlosen Commis, und das hat seine Gründe. Ein Commis, solang er in Stellung ist, ist ein halber Herr; außer Stellung sinkt er zu einem linkischen, überflüssigen, lästigen Nichts herab. Man betrachtet ihn als einenverkommenen Menschen, zu nichts mehr anstellbar auf der Welt, und das ist sehr traurig und ungerecht. Freilich muß eine gewisse, unbestreitbare Liederlichkeit in ihm liegen, etwas Böses, Schadhaftes in seinem Charakter; aber ist deshalb der ganze Mensch zu nichts mehr nütz? Gottlob, es gibt wenig dieser herabgekommenen Handelsbeflissenen, sonst möchte es schlimm mit der öffentlichen Ordnung und Ruhe stehen. Hungernde Commis sind eine der schrecklichsten Erscheinungen. Hungernde Arbeiter sind lange nicht so schrecklich. Arbeiter können vom Platz weg immer wieder Beschäftigung finden, Commis niemals, wenigstens nicht in unserem Lande. Ja, lieber Leser, in diesem Aufsatz, in welchem ich dir von den armen verachteten Stellenlosen berichte, vermag ich den spaßhaften Ton der früheren Abschnitte nicht aufzunehmen, es wäre auch zu grausam. Was tun meistens stellenlose Commis? Sie warten! Sie warten auf neue Anstellung, und während sie warten, martert sie die Reue, die ihnen im kältesten Ton Vorwürfe macht. Gewöhnlich steht ihnen niemand bei, denn wer will etwas mit so unsauberem Gesindel zu schaffen haben? Es ist traurig, ich kenne einen, er war sechs Monate stellenlos. Er wartete mit fiebernder Angst. Der Briefbote war ihm Engel und Teufel; Engel, wenn er seine Schritte seiner Haustür näherte, Teufel, wenn er achtlos vorbeischritt. Dieser Commis fing an, aus verzehrender
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