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Im Bann des Mondes

Im Bann des Mondes

Titel: Im Bann des Mondes
Autoren: Kristen Callihan
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teilgenommen hatte, und in so feinen Kreisen hatte sie ohnehin nicht verkehrt. Namen, Titel und Gesichter gingen ihr durch den Kopf, und schließlich erinnerte sie sich wieder, dass der Marquis von Northrup ein alter Titel war, den irgendein schottischer Lord seit mindestens sechzig Jahren innehatte. Der Mann musste uralt sein.
    Tuttle kam mit einem ziemlich auffälligen, grasgrünen Satinkleid zu ihr zurück. Ihrer Schwester würde diese Farbe wahrscheinlich stehen, aber Daisy würde damit verhärmt aussehen. Aber sie hatte nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Kleid anziehen oder weiter in das Laken gehüllt bleiben. Daisy entschied sich für das Kleid. Unglücklicherweise war das Gewand, das nach einem billigen Veilchenparfüm roch, viel zu lang, und auch die Ärmel hingen ihr weit über die Finger. Der Schnitt passte also ebenfalls eher zu einer Frau mit Mirandas Figur, dachte Daisy grimmig, während Tuttle ihr dabei half, vorne die Haken zu schließen. Sie spannten über ihrem Busen, und Daisy verzog das Gesicht, weil das Kleid so schlecht saß. Lord Northrup, der alte Lustmolch, hatte offensichtlich eine Vorliebe für groß gewachsene Rotschöpfe mit einem Faible für billiges Parfüm.
    Ian hantierte mit den Dekantierern, die auf dem kleinen Tischchen standen. Er hatte sich bereits einen Scotch eingeschenkt und wollte den eigentlich eher zufällig noch einmal gezogenen Stöpsel nicht gleich wieder hineinstecken. Mit einem missmutigen Laut trat er von dem Tischchen weg.
    Die Frau war oben und wurde gerade von Tuttle gebadet. Wenn er die Augen schloss, konnte er das leise Plätschern hören und den Duft seiner Seife wahrnehmen, der sie einhüllte.
    Seufzend ließ er sich in einen Sessel neben dem Kamin fallen. Er nahm das Glas vom Beistelltischchen und trank einen herzhaften Schluck, ehe sich sein finsterer Blick tief in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit versenkte.
    Die Frau. Er hatte nur einen kurzen Blick auf ihren blassen Hals erhascht, als Tuttle ihn auch schon verscheuchte.
    »Ich bin Arzt«, protestierte er, während eine unerbittliche Tuttle ihn davon abhielt, seine Patientin zu entkleiden.
    »Ach ja, wirklich?« Tuttle blickte ihn voller Zweifel an. »Ich dachte, das hätten Sie alles aufgegeben.«
    Na schön, er hatte tatsächlich seit 1865 nicht mehr praktiziert, aber das Fachwissen war noch vorhanden. »Unverschämtes Weib, keine Haarspalterei. Ich habe unzählige Frauen nackt gesehen, als ich meinen Beruf noch ausgeübt habe, und es hatte nie auch nur die geringste Wirkung auf mich.«
    »Ja, alles klar«, erwiderte Tuttle schnippisch. »Wenn Sie sie mit der freundlichen Abgeklärtheit eines Heilers betrachten können und sie nicht lüstern angaffen wie ein junger Spund, werde ich Ihnen erlauben, sie zu untersuchen. Aber bis es so weit ist, gehen Sie raus.«
    Das war also der Lohn dafür, dass er seine Angestellten wie sein Rudel behandelte und nicht wie irgendwelche Dienstboten. Und obwohl er sich sonst so sehr nach engen Bindungen zu anderen sehnte, ging ihm dieses Gefühl gerade völlig ab. »Verdammt noch mal, Weib, ich muss mich davon überzeugen, dass sie unverletzt ist.«
    »Überzeugen, aha?« Sie drängte ihn zur Tür. »So nennt man das jetzt also, hm?«
    Leicht gehetzt versicherte Tuttle ihm nur noch, dass sie das Mädchen auf Verletzungen untersuchen würde, ehe er aus seinen eigenen Räumlichkeiten verbannt wurde, als wäre er irgendein Perverser, dem nicht einmal die grundlegenden Dinge seines Berufsstandes bewusst waren.
    Er knurrte leise. Na schön, er hatte kein Problem damit zuzugeben, dass er die Frau tatsächlich in gewisser Weise mit dem interessierten Blick eines Mannes angeschaut hatte, und ihm fiel absolut überhaupt kein Grund dafür ein. Das arme Ding war blutüberströmt gewesen und höchstwahrscheinlich noch dazu traumatisiert. Er kam sich plötzlich wie ein Schuft vor, weil sich sein Atem beschleunigt hatte, als er die Knöpfe an ihrem Kleid gelöst hatte.
    »Verdammter Mist!«, brummte er und nahm noch einen großen Schluck. Der Alkohol rann angenehm warm durch seine Kehle in seinen verkrampften Magen. Aber er beruhigte ihn nicht. Die Stille in der Bibliothek verunsicherte ihn über die Maßen. Es kam ihm so vor, als würde die Stille mit Riesenschritten sein ständiger Begleiter werden. Natürlich hörte er viele Dinge, und im Verlaufe des Tages redete er auch mit Leuten, aber im Innern war er allein.
    Ian sank tiefer in seinen Sessel, seine innere Unruhe angesichts der
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