Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bann des Kindes

Im Bann des Kindes

Titel: Im Bann des Kindes
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
Vielleicht lag es an den verwitterten Steinköpfen, die um das Tor herum aus der Mauer ragten und die irgendwann einmal Tieren nachempfunden gewesen sein mochten. Heute jedoch, zerfressen von Wind und Wetter, waren es die schwarzen Schädel von Dämonen, die aus leeren Augenhöhlen auf Clarence Mirvish herabstarrten.
    Er fühlte sich von ihren toten Blicken noch verfolgt, als er sich schließlich doch ein Herz faßte und durch das Tor in den halbrunden Hof dahinter schritt. Hier verharrte er wieder, lauschte und ließ den Blick schweifen.
    Doch er sah und hörte nichts.
    Nichts außer dem, was schon immer hier gewesen sein mußte.
    Der Wind klang zwar ein wenig anders als draußen, aber nur weil er sich heulend und pfeifend an Ecken und Vorsprüngen fing. Die Gebäude um ihn her sahen aus, wie sie es, seit Jahrzehnten verlassen und dem Verfall preisgegeben, tun mußten: verlassen und verfallen. Dennoch fiel es Mirvish nicht schwer, die ursprüngliche Be-deutung eines jeden einzelnen Bauwerks zu benennen. Dort drüben mußten die Stallungen gewesen sein, dies hier das Gesindehaus, und im größten der Bauten hatte die Herrschaft selbst residiert.
    Und dort droben auf dem Turm .
    Clarence Mirvish zuckte zusammen, als hätte man ihm einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet! Der Wind, beruhigte er sich, nur der Wind, alter Narr.
    Zwei Sekunden lang hatten seine Versuche tatsächlich Erfolg. Dann hörte er es wieder.
    Das Kichern. Das leise Lachen eines Kindes.
    Mirvish wollte rufen, doch seine Zunge lag ihm wie ein Stück totes Fleisch im Mund. Und der Geschmack, den er plötzlich verspürte, paßte dazu .
    In angespannter Haltung lauschte er. Fast war er geneigt zu glauben, sich doch getäuscht zu haben, als er es wieder vernahm. So deutlich diesmal, daß er sogar die Richtung, aus der es kam, bestimmen konnte.
    Sein Blick glitt zum Herrschaftshaus hin, an der mit trockenem Gestrüpp bewachsenen Fassade empor, zu einer der leeren Fensteröffnungen hin - - die nicht leer war!
    Zumindest nicht in dem Moment, da sein Blick sie erreichte.
    Etwas huschte genau in diesem Augenblick zurück und wurde eins mit der Finsternis dahinter. Etwas - oder jemand.
    Clarence Mirvish wußte, daß es jetzt am klügsten gewesen wäre, kehrtzumachen und zu verschwinden.
    Er wußte es. Nur - er tat es nicht.
    Fast überrascht, wenn auch nur im allerersten Moment, stellte er fest, daß seine Füße ihn dorthin trugen, wo er eigentlich nicht hinwollte. Auf die breiten Stufen der Freitreppe zu, die zum Portal des Herrenhauses emporführte. Dann ließ er es einfach geschehen, betrat die Treppe, stieg sie hoch und drückte die schwere Tür auf, die dumpf kreischend nach innen schwang. Viel schneller, als sie es unter dem zögernden Druck seiner Hand hätte tun dürfen .
    Doch der Gedanke verwehte.
    Clarence Mirvish trat über die Schwelle. Die Wolken draußen schienen ihre Verschwörung gegen ihn aufgegeben zu haben. Mond und Gestirn durften ihr Licht ungehindert herabsenden, und es fiel genug davon durch die glaslosen Fenster, daß Mirvish sich orientieren konnte. Sogar Details ließen sich ausmachen.
    Er stand inmitten einer Halle, die weit über ihm von einer Galerie gesäumt wurde, zu der eine Treppe hinaufführte. An den Wänden ringsum sah Mirvish Gemälde; wuchtige Ölbilder, die fast ausnahmslos Porträts zeigten. Die Ahnenreihe derer von Kilchrenan, oder zumindest jene Vertreter des Familienzweiges, der sich hier niedergelassen hatte; und es mochten auch die letzten des Geschlechts hier verewigt sein, die schon so lange tot waren, daß Cla-rence Mirvish sie nicht mehr gekannt hatte.
    Im oberen Stockwerk hatte er die Bewegung an einem der Fenster gesehen. Von dort war das Kichern gekommen.
    Dieses Kichern!
    Es schwirrte um Mirvish herum wie ein aufgeschreckter Schwarm Fledermäuse, brach sich an den Wänden und zersplitterte in tausend Echos.
    Hastiger als er selbst es wollte, stieg er die Treppe hinauf zur Galerie. Oben führte ein Gang zu beiden Seiten weiter. Mirvish ging nach rechts. Zum einen, weil er die Bewegung in einem der dort gelegenen Zimmer ausgemacht hatte - - zum anderen, weil dort eine Tür schlug! Schwer krachte sie ins Schloß. Das Geräusch rollte durch den Flur, und Mirvish fühlte sich davon regelrecht berührt.
    Er schluckte hart. Es tat weh, weil sich in seinem Mund kaum Speichel sammelte.
    »Ein Kind«, flüsterte er rauh. »Okay, ein Kind. Wenn ich den Ben-gel erwische .«
    Der Gedanke verschaffte ihm ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher