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Im Bann des Kindes

Im Bann des Kindes

Titel: Im Bann des Kindes
Autoren: Vampira VA
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Teil miteingeflossen.
    All dies änderte jedoch nichts daran, daß er die Fremden nicht mochte. Nicht wirklich zumindest. Und er hütete sich, es sie tatsächlich spüren zu lassen. Die eine oder andere kleine Bosheit allerdings vermochte er sich dennoch nicht zu verkneifen.
    Wie jene beispielsweise, daß er sich gelegentlich von der Gruppe »absetzte«.
    Im Laufe der Zeit hatte Mirvish einen speziellen Schritt entwickelt, der es im erlaubte, schneller voranzukommen, ohne daß er den Anschein erweckte, zu rennen. So ließ er die Touristengruppen oft zusehends hinter sich - natürlich nur dort, wo die Wege sicher waren -und erwartete sie dann in einiger Entfernung, mit gespielt vorwurfsvollem Blick und ein paar allgemeinen Bemerkungen über »verweichlichte Großstädter« .
    So hockte er auch diesmal an einem jener Punkte, wo er auf die Touristen zu warten pflegte. Diesen Stein hier hatte er seiner besonderen Form wegen »Clarences Thron« getauft, und er hatte sich sogar eine kleine Geschichte dazu einfallen lassen. Daß schon sein Vater und Großvater und dessen Vater oft hier gesessen hätten und daß der Fels deshalb in den Familienbesitz übergegangen wäre.
    Er erzählte diese Mär immer dann, wenn einer unter den Fremden war, der mit Beschwerden über seine Rücksichtslosigkeit und dergleichen drohten.
    Diesmal jedoch würde Mirvish sie nicht erzählen müssen. Er hörte es am schleppenden und schleifenden Geräusch der Schritte, die sich ihm näherten. Und wenig später mischten sich erste keuchende Atemzüge hinein. Keiner dieser Leute würde noch genug Luft haben, um sich zu beschweren ...
    Clarence Mirvish sah lächelnd hinaus auf das wogende Grau des Atlantiks, wo das Licht des Tages allmählich zu sterben begann. Es wurde Zeit für den Rückweg. Er würde den Fremden keine lange Verschnaufpause gönnen dürfen.
    Mirvishs Lächeln vertiefte sich eine Spur, und hätte ihn jemand gesehen, hätte er gutmütige Häme in seinen wettergegerbten Zügen gesehen.
    Er wartete, bis er gehört hatte, daß sich auch der letzte Nachzügler hinter ihm zu Boden hatte fallen lassen, und dann noch zehn Sekunden. Dann klopfte er die glühenden Tabakreste am Stein aus dem Pfeifenkopf, die der Wind als rotglimmende Flocken über die Felsen wehte, verstaute sein Rauchzeug sorgfältig im Rucksack und erhob sich.
    »Ladies, Gents«, sagte er, »wir müssen weiter.«
    Sein Blick glitt über die zehnköpfige Truppe, die ihm wie einem Feldherrn zu Füßen lag. Durch die Bank sah er gerötete Gesichter, und hinter der Erschöpfung erkannte er zumindest in einigen Augenpaaren etwas, das ihn - hätte es ihn getroffen - tot zu Boden hätte gehen lassen.
    Mirvish zwang wenigstens einen Anflug von Bedauern in seine Miene. Es tut mir leid, aber ..., wollte er fortfahren.
    »Fünf Minuten«, bettelte ein Mann im angeblich besten Alter, und es klang, als bäte ein zum Tode Verurteilter seinen Henker um einen winzigen Aufschub, weil er doch noch auf den rettenden Anruf des Gouverneurs hoffte.
    »Sorry«, sagte Mirvish. »Aber es wird bald dunkel, und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als hier draußen zu übernachten.« Und er fügte hinzu: »Leider ist der Komfort hier oben nicht halb so gut wie in Ihrem Hotel unten im Tal.«
    Ein junger Mann stand auf, allerdings nicht halb so mühelos, wie er es offensichtlich beabsichtigt hatte.
    »Kommt schon, Leute, auf die Beine!« rief er. »Ich habe keine Lust, mir heute nacht hier draußen den Arsch abzufrieren!«
    Ein Ächzen und Raunen lief durch die Gruppe wie eine Welle. Fast eine Minute verging, bis schließlich auch der Letzte wieder auf den Beinen war.
    Clarence Mirvish hob den Arm und winkte den Leuten, ihm zu folgen. Dann trat er auf den Felspfad, der sich in schmalen Kehren an der Bergflanke hinabwand. Die Lichter von Meat Cove stanzten helle Punkte in die Dämmerung, die die Nordküste fast schon verschlungen hatte. Sie schienen erlösend nahe, doch Mirvish wußte, daß der Eindruck täuschte. Sie würden noch knapp zwei Stunden brauchen, um in dem kleinen Fischerdorf anzukommen.
    Wenn sie sich beeilten .
    Mirvish grinste und schritt weiter aus. Das Stöhnen hinter ihm war Musik in seinen Ohren. Keiner von denen würde je wieder einen Fuß auf Nova Scotia setzen.
    »Was ist denn das?«
    Jemand rief die Worte, doch Clarence Mirvish hörte sie trotzdem kaum. Er ging der Gruppe inzwischen über fünfzig Meter voran. Jetzt blieb er stehen und wandte sich um.
    »Ein Schloß?« fragte ein
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