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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit
Autoren: Dean R. Koontz
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wird.
    Statt auf XP wütend zu sein, betrachte ich die Krankheit lieber als Segen. Mein Weg durch das Leben ist einzigartig.
    Zum einen bin ich wie kein anderer mit der Nacht vertraut.
    Ich kenne die Welt zwischen der Abend- und der Morgendämmerung, wie kein zweiter sie kennen kann, denn ich bin der Bruder der Eule, der Fledermaus und des Dachses. Ich bin in der Dunkelheit zu Hause. Das kann ein größerer Vorteil sein, als man zunächst vielleicht annimmt.
    Natürlich können auch noch so viele Vorteile nicht die Tatsache ausgleichen, daß bei denen, die unter XP leiden, ein vorzeitiger Tod nicht ungewöhnlich ist. Wir können eigentlich nicht davon ausgehen, ein hohes Erwachsenenalter zu erreichen - zumindest nicht ohne progressive neurologische Funktionsstörung wie Zittern des Kopfes und der Hände, Hörverlust, undeutliche Aussprache und sogar Geistesschwäche.
    Bislang habe ich Gevatter Tod in die kalte Nase gekniffen, ohne daß er es mir heimgezahlt hat. Mir sind sogar sämtliche körperliche Gebrechen erspart geblieben, die meine Ärzte mir schon vor langem vorhergesagt haben.
    Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Die Behauptung, ich würde von geborgter Zeit leben, wäre nicht nur ein Klischee, sondern auch eine Untertreibung.
    Mein gesamtes Leben ist mit einer schweren Hypothek belastet.
    Aber das ist das Ihre auch. Wir alle müssen mit einem vorzeitigen Ableben rechnen. Aber wahrscheinlich werde ich eher abberufen werden als Sie, obwohl auch Ihr Bescheid schon bei der Post lagert.
    Trotzdem - seien Sie glücklich, solange der Postbote noch nicht da ist. Es gibt keine andere mögliche Reaktion als Glück. Verzweiflung ist eine törichte Verschwendung kostbarer Zeit.
    Hier und jetzt also, schon nach Mitternacht, aber noch lange vor Anbruch der Dämmerung, jagte ich meinem Spürhund hinterher, glaubte ich an das Wunder, Jimmy Wing könne noch leben, und radelte durch leere Gassen und verlassene Straßen, durch einen Park, in dem Orson nicht ein einziges Mal innehielt, um an einem Baum zu schnüffeln, vorbei an der High School und zu den tiefer gelegenen Stadtteilen. Er führte mich schließlich zum Santa Rosita River, der unsere Stadt von den Hügeln bis zur Bucht in zwei Hälften teilt.
    In der hiesigen Gegend von Kalifornien, in der die jährliche Niederschlagsmenge im Durchschnitt lediglich fünfunddreißig Zentimeter beträgt, sind die Flüsse und Bäche den Großteil des Jahres über ausgetrocknet. Die gerade zu Ende gegangene Regenzeit war nicht ertragreicher als üblich gewesen, und das Flußbett war völlig trocken: ein breiter Streifen aus pulvrigem Schlick, der bleich und leicht glänzend unter dem Mondschein lag. Er war so glatt wie ein Bettlaken, abgesehen von den verstreuten Knoten dunklen Treibholzes, die entfernt an schlafende Obdachlose erinnerten, deren Gliedmaßen von Alpträumen verdreht wurden.
    Obwohl der Santa Rosita River eigentlich gut zwanzig Meter breit war, sah er kaum wie ein richtiger Fluß, sondern eher wie ein von Menschen angelegter Abzuggraben oder Kanal aus. Als Teil eines breitangelegten Bundesprojekts zur Kontrolle der Sturzfluten, die sich plötzlich aus den steilen Hügeln und schmalen Schluchten an der Hintertür von Moonlight Bay ergießen können, waren die Flußufer von einem Ende der Stadt bis zum anderen erhöht und mit breiten Uferdämmen aus Beton stabilisiert worden.
    Orson trottete von der Straße, überquerte einen öden Streifen Land, und weiter ging.s zum Damm.
    Ich folgte ihm und passierte dabei zwei Schilder, welche, immer paarweise angeordnet, auf der gesamten Länge des Wasserlaufs vorzufinden waren. Das erste verkündete, daß die Öffentlichkeit keinen Zutritt zum Fluß habe und jeder Verstoß gegen diese Verfügung strafrechtlich verfolgt werde. Das zweite, das für jene gesetzlosen Bürger bestimmt war, die Verbotsschilder mißachteten, warnte davor, daß das Hochwasser bei einem Sturm so stark und schnell sein könne, daß es jeden mit sich reiße, der sich hineinwage.
    Trotz all der Warnungen, trotz der offensichtlichen Turbulenz der trügerischen Strömungen und der nur allzugut bekannten tragischen Geschichte des Santa Rosita wird alle paar Jahre jemand, der auf Nervenkitzel aus ist und sich mit einem selbstgebauten Floß oder Kajak - oder sogar nur mit Schwimmflügeln - auf den Fluß wagt, in den Tod gerissen. In einem einzigen Winter, der noch gar nicht so lange zurückliegt, sind hier sogar drei Leute ertrunken.
    Man kann sich stets darauf
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