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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans
Autoren: Marcia Muller
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Während sich meine Hände
fester um ihren Knöchel schlossen, versuchte ich auszumachen, wo die Waffe
hingefallen war. Sie lag ein Stück von der Bootsschleuse entfernt, außer
Reichweite.
    Stephanie verlor jetzt endgültig das
Gleichgewicht. Ihr anderer Fuß geriet ins Rutschen, sie schwankte, und dann
fiel sie rücklings in die Bootsschleuse. Sie riß mich mit hinein.
    Das eiskalte Wasser schlug über meinem
Kopf zusammen. Ich sank bleischwer nach unten. Panik ergriff mich. Meine Füße
berührten den Boden, und ich stieß mich ab. Fast gleichzeitig tauchte mein Kopf
an der Wasseroberfläche auf. Stephanie war kaum mehr als einen Meter von mir
entfernt. Das Boot tanzte auf dem Wasser und schlug immer wieder gegen eine
Betonwand. Ehe ich noch Luft holen konnte, stürzte sich Stephanie auf mich und
versuchte, mich an den Haaren zu packen.
    Das Boot kam von rechts und verfehlte
meinen Kopf um Haaresbreite. Stephanie sah es rechtzeitig und tauchte. Als sie
wieder an der Wasseroberfläche erschien, war sie nur noch eine Armlänge
entfernt. Ich schlug nach ihr, die Augen auf das Boot gerichtet.
    Es krachte an die Gegenwand und schoß
zurück. Es streifte mich an der Schulter, einen Augenblick war ich wie
benommen, dann drückte Stephanie meinen Kopf unter Wasser. Ich packte eine
ihrer Hände und bog ihr die Finger nach hinten, ganz fest. Sie ließ mich los,
und ich tauchte tiefer.
    Meine Lungen fühlten sich an, als
würden sie jeden Moment platzen. Meine Beine waren schwer und wie taub. Meine
schweren Stiefel zogen mich weiter hinunter. Ich versuchte zu steigen und
festzustellen, wo das Boot war.
    Die Wellenbewegung in der Schleuse war
heftig. Ich wurde gegen die rauhe Zementwand geschleudert und schoß nach oben.
Das Boot befand sich jetzt zwischen mir und Stephanie. Sie hielt es am Heck
fest und richtete es so aus, daß es auf mich zufahren mußte.
    Ich versuchte, mich auf die Stufen zu
ziehen, um dem Boot aus dem Weg zu gehen. Da sah ich die Ruder. Ihr Ende ragte
über die Schleusenwand. Ich sprang hoch, um eines zu packen, und beim zweiten
Anlauf schaffte ich es. Ich brachte es längsseits zwischen das Boot und die
Wand. Das Boot prallte auf das Ruder, das Ruder brach, hielt aber das Boot ab.
    Stephanie schrie wütend auf, ließ das
Heck los und kam auf mich zu. Ich sprang noch einmal hoch, packte das andere
Ruder, schwang es herum, gerade als sie mich erreichte, und schlug ihr damit
auf den Kopf.
    Es war ein solider Schlag, der sie
unter Wasser tauchte. Als sie wieder hochkam, bewegte sie sich nicht mehr. Ich
ließ das Ruder los und klammerte mich keuchend an die Stufen und versuchte,
mich etwas zu beruhigen. Ein paar Sekunden lang war ich versucht, Stephanie im
Wasser schwimmen und ertrinken zu lassen, aber ich hatte schon genug schlaflose
Nächte. Schließlich platschte ich durch das Wasser hinüber, drehte sie auf den
Rücken, schob ihren schlaffen Körper zur Treppe und zog sie auf den Boden des
Bootshauses.
     
     
     

27
     
    Am nächsten Nachmittag hatte sich der
Orkan erschöpft. Und am Tag danach war der Himmel über dem Delta wieder von
einem ungetrübten Blau, und Inseln und Flüsse und Wasserarme lagen im hellen
Sonnenschein.
    Bulldozer räumten die Straßen frei, und
Arbeitstrupps besserten die Deiche aus. In den Ortschaften schaufelten die
Einwohner Schlamm und Schutt aus ihren Häusern, und die Geschäfte öffneten
wieder. Später in der Woche würde man mit den staatlichen und Bundesbehörden
wegen Unterstützungen zu verhandeln beginnen, obwohl diese bei ähnlichen
Katastrophen in früheren Jahren wenig Hilfsgelder zur Verfügung gestellt
hatten. Aber jetzt lebten die Leute nur für den Augenblick und bemühten sich,
soviel wie möglich von ihrem Besitz zu retten.
    Auf Appleby Island waren Beweise für
die Sturmschäden überall zu erkennen. Der Holzpier beim Bootshaus war
eingesunken und der Deich dort zusammengebrochen. Ein Teil des Rasens war
überflutet worden. Die große Ulme — dieselbe, an der die Applebys Alf Zeisler
aufhängten — war umgestürzt, auch viele Bäume in den Obstgärten. Viele
Dachziegel fehlten, und mindestens ein Dutzend zerbrochene Fensterscheiben
waren mit Brettern vernagelt. Der menschliche Einsatz war noch höher gewesen,
aber die Kosten dafür waren nicht so deutlich wahrnehmbar.
    Nach unserem Kampf am Bootshaus hatte
ich Stephanie gefesselt und war durch den Sturm zum Haus zurückgestapft. Ohne
lange Erklärungen hatte ich sie der Obhut der anderen übergeben,
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