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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers
Autoren: Jorun Thoerring
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Antwort als eine Art Bestätigung auf. »Ge…, gewissermaßen«, sagte der Mann schließlich. »Bekannte. Wir waren gewissermaßen Bekannte.«
    Karl sah ihn verblüfft an. »Du bist Per Andersen, nicht wahr?«
    »Ich hab ja gesagt, dass ich dich erkannt hab.« Er starrte Karl mit halboffenem Mund an, sein Atem roch nach Alkohol. »Was wird das für einen Aufruhr geben, wenn die Zeitungen herausfinden, dass du doch nicht tot bist …!« Er blickte unruhig hin und her und senkte die Stimme. »Du bist durch die Tür zum Büro deines Vaters gegangen und … keiner hat dich seitdem gesehen.« Kleine Speicheltröpfchen trafen Karl Fjeld im Gesicht. »Keiner hat dich seitdem gesehen.«
    »Bist du damals da gewesen?«
    »Ich hab nichts gesehen. Nichts.« Per Andersen trat einen Schritt zurück. »Ich weiß es bloß.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich hab’s der Polizei gesagt. Dass ich nichts gesehen hab. Hab es der Polizei gesagt. Die haben es aufgeschrieben.« Der Mann ging noch einen Schritt zurück.
    Diese offensichtliche Erregung über das Thema erstaunte Karl, sodass er unweigerlich beruhigend nickte. »Schon in Ordnung.«
    In gewisser Hinsicht wirkte der Mann geistig verwirrt, zugleich war er deutlich alkoholisiert und schwer einzuschätzen. Karl erinnerte sich gut an den Jungen: ein Einzelgänger mit einer riesenhaften Hexe von Mutter, einer, der in der Clique im Schatten stand und nur dann mitdurfte, wenn kein anderer verfügbar war. Karl fiel der Spitzname ein, den sie ihm gegeben hatten: Pinocchio, die Holzpuppe. Weil er so leicht zu lenken war. Aber auch wegen des streichholzdünnen Körpers und der ungewöhnlich langen Nase.
    »Schon in Ordnung, Per«, wiederholte er. »Das alles ist so viele Jahre her. Jetzt ist es vorbei. Niemand interessiert sich mehr für den Brand.«
    »Ich hab der Polizei gesagt, dass ich nichts gesehen hab.«
    Karl nickte und zündete seine Pfeife an. »Genau.«
    »Nichts.«
    Karl klopfte ihm auf die Schulter und zog ruhig an der Pfeife.Pers geweitete Augen wichen nicht von Karls Gesicht, aber die unruhigen Bewegungen hatten aufgehört und er stand still. »Ich versteh gut, dass du der Polizei nichts sagen wolltest. Was man sagt, wird oft missverstanden.« Nachdenklich entließ er Pfeifenrauch in die kalte Luft. »Aber unter uns: Hast du was gesehen?«
    Per Andersens Augen blinzelten einmal. Sein Mund offenbarte eine braune Zahnreihe, als er langsam lächelte. »Ich hab dich gesehen. Und die Dame. Ich hab dich und die Dame gesehen.«

Kapitel 4
    14. Mai 1969, 7:30 Uhr
    Per Andersen stand auf dem höchsten Punkt der Insel und schaute umher. Er war siebzehn und meinte eins zu werden mit all dem Grau, er fühlte sich so klein wie die Sandkörner neben den Steinplatten, auf denen er stand.
    Die Umgebung war scheinbar so wie zuvor. Doch die Lichtverhältnisse hatten sich verändert. Es war dunkler geworden, fast verschwommen. Himmel und Meer, die schneebedeckten Berge, alles war zu einer eintönigen grauen Masse zusammengeschmolzen. Der Nebel lag wie ein Schleier auf seinen schmerzenden Augen, brannte schlimmer als in der Nacht der Rauch. Per musste blinzeln und wegsehen, weil ihm Tränen in die Augen stiegen.
    Er war dem erstickenden Rauch entkommen. Aus der Gegend geflüchtet, in der er von klein auf gespielt hatte. Hinterhöfe, Gassen und Treppen, Winkel und Verstecke mit ganz speziellen Gerüchen und Stimmungen. Alte, zundertrockene Holzhäuser, Schuppen, Kais, bis auf wenige klägliche Überreste von den Flammen verschlungen und für immer verschwunden.
    Die intensiv orangen Flammen hatten sich in seine Netzhaut eingeätzt. Es war, als fräßen sie sich tief ins Gehirn hinein, flimmerten vor den Augen. Er traute sich kaum, diese zu schließen, nach allem, was er gesehen hatte.
    Lange bevor die Sirenen des Zivilschutzes durch die Stadt geschallt hatten, war er vor Ort gewesen. Wenn der Sommer sich näherte, die Nächte hell waren und die Sonne Tag und Nacht schien, hatte er immer Probleme mit dem Schlafen. Deshalb hatte er nachts um zwei in seinem Zimmer gesessen, die neueste Stones-Platte, Sympathy for the Devil , bei Radio Luxembourg gehört und dazu wie ein junger Gott Luftgitarre gespielt, als jemand Steine an sein Fenster warf.
    Sein Klassenkamerad Sverre Wikan hatte den Brand schon entdeckt. Er war wie ein Verrückter den steilen Hang hinauf- und am Fuß des Rambergan vorbeigeradelt, um Per zu holen. Der Brand beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt noch auf ein überschaubares Gebiet
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