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Im Auge des Feuers

Im Auge des Feuers

Titel: Im Auge des Feuers
Autoren: Jorun Thoerring
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mehrstündige Autofahrt von der Küste entfernt war. Er hatte das Meer endgültig verlassen, als er damals ins Landesinnere zog und sich mit einem anderen Norweger eine Wohnung teilte.
    Dieser quälte sich durchs Studium an einer Technischen Hochschule und war arm wie eine Kirchenmaus. Man konnte ohne Übertreibung sagen, dass er von Karl lebte. Aber im Endeffekt zahlte er reichlich zurück. Nach kurzer Zeit stellte er Karl nämlich gut gelaunt seine neue Freundin vor. Trotz ihres jugendlichen Alters hatte sie es bereits zur Witwe gebracht. Sie war wohlhabend, gutaussehend und achtete glücklicherweise zu sehr auf ihre üppigen Brüste, als dass sie sich einen Haufen Kinder angeschafft hätte. Karl war ein leidenschaftlich veranlagter Mann. Er spannte sie ihm aus und heiratete sie. Seinen Lebensunterhalt verdiente er in dem Stahlmonument, das schließlich seine Firma beherbergte, und überraschte sich selbst mit der Erkenntnis, dass man auch auf ehrliche Art Geschäfte machen und Spaß dabei haben konnte.
    Karls Frau war vor einigen Jahren bei einem Unfall gestorben. Seitdem lebte er zurückgezogen. Seine Gedanken kehrten immer wieder in die Vergangenheit zurück.
    Eine seiner wenigen Ablenkungen fand Karl nun in der städtischen Bibliothek. Dort las er täglich mehrere norwegische Zeitungen. Ein Nachruf in Aftenposten riss Karl eines Tages aus dem Alltagstrott. Die Nachricht vom Tod seines Vaters erschütterte ihn zutiefst.
    Jetzt stand er hier und fühlte sich auf seltsame Art verraten.
    Er legte die Hände gegen das frische Holz, ließ seine Finger die stahlgerahmten Fenster entlanggleiten und fuhr zusammen, als es hinter ihm im Kies knirschte. Schlurfende, etwas unsichere Schritte auf dem gefrorenen Boden.
    »Es hat noch nicht geöffnet.« Der Mann hinter Karl trug eine dünne, etwas zu weite Windjacke, die Ärmel waren an den Ellbogen durchgescheuert und schmutzig. Karl registrierte lange, dünne Hände, Finger, die rot waren vor Kälte. Die Augen standen nicht nur vor, sondern waren auch geweitet, als betrachteten sie ein Schreckensszenario. Der Mann fixierte Karl mit einem eindringlichen Blick. Irgendetwas an dieser Gestalt machte Karl nervös. Dabei wirkte der Fremde körperlich schwach und vollkommen harmlos.
    Karl musterte ihn unwillig. »Was wollen Sie?«
    »Du magst diesen Bau auch nicht. Das hab ich sofort gemerkt. Ich hab’s sofort gemerkt.« Die Worte brachen aus ihm hervor, stammelnd und monoton. Er war offenbar nicht ganz richtig im Kopf und es war sinnlos, sich ernsthaft mit ihm zu unterhalten.
    »So, so.«
    »Ich hab gesehen, dass du es bist.« Der Fremde stotterte eifrig weiter. »Ich hab gesehen, dass du es bist. Sofort.« Er hatte offensichtlich die Angewohnheit, Sätze zweimal zu sagen.
    »Es spielt keine Rolle, was du gesehen hast. Hau ab.« Aus dem Augenwinkel betrachtete Karl den Mann, das Gesicht halb abgewandt, wobei er eine Miene völliger Gleichgültigkeit aufsetzte. Vielleicht war es jemand, mit dem er zur Schule gegangen war? Die Stadt war leider zu klein, um nicht wiedererkannt zu werden.
    »Meine Mutter hat gesagt, dass du es bist. Sie hat dich am Friedhof vorbeigehen sehen. Ich hab’s nicht geglaubt, aber jetzt weiß ich, dass sie recht hatte. Du bist Karl Fjeld, nicht wahr? Den alle für tot gehalten haben? Alle haben dich für tot gehalten.«
    »Mich für tot gehalten? Nun, ich bin nicht tot.« Karl Fjeld hörte seine Stimme gekränkt in der Abendstille widerhallen. Er war noch nicht vierundzwanzig Stunden in der Stadt, und schon scharten sich die Verrückten um ihn. Abrupt wandte er sich dem lästigen Mann zu, um ihn aufzufordern zu verschwinden. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken.
    An der Außenkante der linken Augenbraue begann eine Narbe und teilte sich am Jochbein des seltsamen Mannes. Aus der Nähe war sie deutlich zu erkennen, wie ein klaffender, bläulicher Riss. Sie erinnerte ihn an eine Narbe, die er in seiner Jugend mit einer Mischung aus Schrecken und Staunen studiert hatte und für die sein Bruder Johan teilweise verantwortlich war.
    Der hatte mit fünfzehn bei einer halsbrecherischen Mopedfahrt am Lenker gesessen. Alkohol war mit im Spiel gewesen und alles hatte kopfüber in einem Stacheldrahtzaun geendet. Weil die Eltern verreist waren, hatte man Karl kommen lassen.
    Karl starrte in die weit geöffneten Augen des Mannes. »Du bist … warst du nicht einer von Johans Freunden?«
    Der Mann zuckte mit den Schultern und nickte gleichzeitig. Karl fasste diese
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