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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Wood
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Bedeutung von Träumen ernst zu nehmen. Deshalb schien es ihr jetzt einleuchtend, Hannahs Traum tatsächlich als Warnung der Götter zu verstehen.
    »Mutter«, sagte Hannah, »das Mädchen in meinem Traum trug Muschelsuppe auf. Und jetzt sieh doch, was Leah gerade tut.«
    Avigail nickte ernst, tätschelte dann beruhigend Hannahs Hand. »Das werden wir sofort klären.«
    Zum Entsetzen ihres Sohnes und seiner Gäste trat sie hinter dem Wandschirm hervor und baute sich kerzengerade vor ihnen auf. »Verzeih die Störung, Sohn«, sagte sie, »aber bevor weiterverhandelt wird, sollte etwas Wichtiges zur Sprache gebracht werden.«
    Sie wandte sich an Zira. »Entschuldige vielmals, Em Yehuda, aber ehe ich meine Enkelin deinem Bruder zur Ehe gebe, muss ich eine etwas heikle Frage stellen. Vergib mir, dass ich darauf zu sprechen komme, aber du wirst verstehen, dass dies von höchster Bedeutung ist. Es wird behauptet, dein Sohn Yehuda leide an der Fallsucht. Ist das wahr?«
    »Mutter!«, brauste Elias auf.
    Zira sprang hoch. »Wie kannst du es wagen!«
    »Ich wage es, weil ich es mir, wenn es sich so verhält, noch einmal überlegen muss, ob ich meine Enkelin deinem Bruder anvertraue. Es heißt, dass Fallsucht vererblich ist. Wenn dem so ist, riskiert Leah, Kinder zu gebären, die diese Krankheit in sich tragen. Deshalb frage ich dich, Zira Em Yehuda: Leidet dein Sohn an dieser Krankheit?«
    Zira presste die Lippen zu einem Strich zusammen. »Das ist ein bösartiges Gerücht, sonst nichts.«
    Die Blicke der beiden Frauen kreuzten sich. Avigail sah, wie Zira die Hände verkrampfte, wie sie zitterte. »Du schwörst bei Asherah, dass dein Sohn diese Krankheit nicht hat?«
    Zira öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder.
    »Halla«,
flüsterte Avigail. »Dann stimmt es also. Yehuda leidet an der Fallsucht.«
    Hinter dem Wandschirm war ein schriller Aufschrei zu hören, dann Tamars Ruf: »Großmutter! Mit Mutter stimmt etwas nicht!«
    Avigail wandte sich an einen Diener. »Sag Jeremia, er soll sofort den Arzt holen. Sag ihm, es geht um eine Entbindung. Rasch!« Dann eilte sie Hannah zu Hilfe.
    Beim Aufschrei ihrer Mutter hinter dem Wandschirm war Leah so heftig zusammengefahren, dass ihr die Schale mit der heißen Muschelsuppe entglitt und auf Jothams Schoß landete. Verärgert sprang er auf. Sofort eilten Sklaven mit Leintüchern auf ihn zu. Elias war entsetzt, Ziras Gesicht verfärbte sich vor Zorn tiefrot.
    Wie versteinert blickte Leah zu der Trennwand. Als das Schluchzen und Stöhnen der Mutter allmählich verklang, schloss sie daraus, dass man Hannah zur anderen Seite des Hauses brachte.
    »Tochter!«, wies Elias sie zurecht.
    Sie wandte sich um und sah, dass sich die Muschelsuppe über Jothams scharlachrote Tunika ergossen hatte und Sklaven emsig dabei waren, das Malheur mit Tüchern zu beseitigen. Elias hatte sich erhoben und bedachte die Tochter mit einem vorwurfsvollen Blick. »Entschuldige dich sofort bei unserem Gast.«
    Gerade als Leah der Aufforderung nachkommen wollte, hörte sie wieder einen Schrei. Hatten bei ihrer Mutter die Wehen eingesetzt? Dafür war es doch noch viel zu früh!
    Ohne zu zögern, kehrte sie ihrem Vater und seinen Gästen den Rücken zu und stürmte aus der Empfangshalle.
     
    Hannah lag auf dem Bett in der Kammer, in der üblicherweise Geburten stattfanden, und schrie erneut auf, derweil Avigail und mehrere Sklavinnen sich um sie bemühten. Noch ganz außer Atem, trat Leah hinzu, kniete neben dem Bett nieder und griff nach der Hand der Schwangeren. »Wie geht es dir, Mutter?«
    Hannah bewegte den Kopf hin und her. Leichenblass war sie, ihr Gesicht schweißnass. »Die Schmerzen sind diesmal unerträglich«, hauchte sie. »Irgendetwas scheint nicht wie sonst zu sein.«
    Jetzt schob Avigail Hannahs Gewand hoch, entblößte den geschwollenen Unterleib.
»Halla«,
sagte sie leise, als sie sah, wie sich die gespannte Haut kräuselte.
    Angst zeichnete sich auf den Gesichtern von Tamar und ihrer jüngeren Schwester ab, die im Hintergrund knieten.
    »Schafft gewürzten Wein herbei und ein Schüreisen, um ihn zu erwärmen«, wies Avigail in ruhigem Ton die Umstehenden an. »Und ich brauche eine Schüssel Wasser und frisches Leinen. Rasch! Tamar, mach dich nützlich und zünde Weihrauch vor Asheras Schrein an. Esther, bete für deine Mutter.« Obwohl sie sich nichts anmerken ließ, befürchtete Avigail das Schlimmste. Man wusste ja, dass sich Worte, sobald sie ausgesprochen sind, verselbständigen und ihre
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