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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Wood
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nicht gerade halten«, erwiderte Elias und griff nach einer rohen Auster in Essig. Ende dreißig und barttragend wie alle Kanaaniter, war Elias der Winzer ein kräftiger Mann mit gradlinigem Charakter. In Ugarit schätzte man ihn überall als unparteiisch und klug.
    »Frauen fehlt es an komplexem Denkvermögen und an der Befähigung, ein Land zu regieren. Hatschepsut dürfte eine Menge Berater auf Trab halten.«
    »Der Knabe, der den Thron geerbt hat, ist einfach zu jung«, sagte Elias, der stets eine Situation von beiden Seiten aus zu beurteilen pflegte. »Thutmosis braucht einen Mitregenten. Seine Stiefmutter steht ihm nur so lange bei, bis er sich selbst behaupten kann.«
    »Elias, mein Freund, mit einer Königinwitwe kann ich mich ja noch abfinden. Aber dieses überspannte Weib hat sich selbst zum König ausgerufen! Hatschepsut trägt Männerkleidung und schmückt sich sogar mit einem falschen Bart! Was sind die Ägypter doch für Schwächlinge, dass sie eine derartige Verirrung hinnehmen? Puh! Sorgen sich nur darum, woher der nächste Becher Bier kommt. Keiner Frau sollte derart viel Macht zugestanden werden. Das ist gefährlich.«
    »Immerhin versteht sich Königin Hatschepsut darauf, Ugarit aufgrund von angeblich freundschaftlichen Handelsbeziehungen einen jährlichen Tribut aus der Nase zu ziehen.«
    »Ja. Und überall in Kanaan murrt man darüber und schwört, sich eines Tages dagegen zu erheben.«
    »Genug von Politik«, sagte Elias. »Lass uns trinken, auf dass die Traube uns Flügel verleihe!« Er forderte Jotham auf, einen neuen Wein zu verkosten. Der Schiffbauer schaute in seinen Becher und runzelte die Stirn. »Hast du mir da Wasser eingeschenkt?«
    »Beileibe nicht! Probier mal!«
    Jotham trank zögernd. Dann: »Das ist ja Wein! Tatsächlich! Aber diese Farbe, oder soll ich sagen, Farblosigkeit?«
    »Das ist
weißer Wein,
mein Freund, eine spezielle Lese, an deren Verfeinerung ich gearbeitet habe. Es begann mit einem Experiment, bei dem ich von den gepressten Trauben vor Beginn der Gärung die Haut entfernte. Aus reiner Neugier, was dann passieren würde. Und dies ist das Ergebnis. Die Götter seien gepriesen!«
    Ein weiterer Schluck. Jotham schnalzte mit den Lippen. »Leicht. Frisch. Süßlich. Ich glaube, das wird ein großer Erfolg. Wie du weißt, mein Freund und Bruder, habe ich vor, eine neue Werft auf Zypern zu bauen und von dort aus neue Handelswege über das Meer zu erschließen. Welch einträgliche Geschäftsverbindung das werden könnte – du mit deinen legendären Weinen und ich mit meinen schnellen Schiffen. Schon bald wird die ganze Welt diesen außergewöhnlichen Tropfen genießen.« Bei dem Wort »Verbindung« schielte er zu Leah und legte ein wenig mehr Betonung auf diesen Ausdruck.
    Elias grinste und hob seinen Becher. »Auf den Wein und die Schiffe, mein Freund und Bruder! Heute Abend sind die Götter mit uns.«
    Jotham wiederholte den Trinkspruch und leerte seinen Becher. »Köstlich«, murmelte er mit einem Seitenblick auf Leahs Hüften.
    Während sich Elias und seine Gäste gebratenes Schweinefleisch, Muscheln in Soße und Riesenkrabben schmecken ließen, setzte ein Frühlingsregen ein, der zunächst wie ein Flüstern anmutete, bald jedoch in anhaltendes Rauschen überging. Kalter Wind wehte ins Haus.
    Jothams Schwester Zira tupfte sich die Lippen mit einem Tuch ab und ergriff zum ersten Mal das Wort. »Du solltest froh sein, dass wir bereit sind, dir Leah in Anbetracht ihres Alters abzunehmen.«
    Elias runzelte die Stirn. »Meine Tochter ist nicht so alt.«
    Zira reckte das Kinn. »Dennoch wird man sich fragen, woran es liegt, dass sie mit ihren achtzehn Jahren noch nicht verheiratet ist. Wir müssen schließlich an unseren guten Ruf denken.«
    »Mein Haus ist in ganz Kanaan wohlbekannt. Jeder angesehene Bürger weiß, was meiner Tochter widerfahren ist.«
    »Weshalb man sie bedauern muss?«, fragte Zira spitz.
    »Halla!«,
zischelte Avigail hinter dem Wandschirm. »Das Weib dreht meinem Sohn das Wort im Mund um. Und Jotham weist sie nicht zurecht!«
    Avigail hatte angenommen, dass Zira, die, seit sie verwitwet war, im Hause ihres älteren Bruders lebte, einen niedrigeren Rang einnahm. Aber dem schien keineswegs so zu sein. Während Jotham unter seinesgleichen hohes Ansehen genoss und ein wohlhabender Geschäftsmann mit Beziehungen zum Adel und Königshaus war, schien er in seinem eigenen Haus unter der Knute seiner Schwester zu stehen.
    »Halla,
Mutter Avigail!«, flüsterte
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