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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Wood
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Schärpe um die Mitte trug, hatte Jotham seinen massigen Körper in eine flammend rote Tunika gekleidet und darüber einen gestreiften Umhang geworfen. Da er seine Sandalen an der Tür abgelegt hatte, war er barfüßig. Sein dunkelbraunes Haar und der Bart waren geölt und gekräuselt, und seine kräftigen Handgelenke umschlossen breite Goldreifen. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihm funkelte im Schein der Lampe sein Geschenk für Leahs Familie: fünf Kugeln eines duftenden Gummiharzes, Weihrauch genannt. Ein ungemein großzügiges Geschenk.
    »
Shalaam.
Möge Dagon dich segnen«, erwiderte Avigail und bemühte sich, angesichts der zweiten Person, die, angetan mit einem langen schwarzen Gewand und einem schwarzen Schleier über Kopf und Schultern, auf einem Hocker saß – Jothams Schwester Zira –, nicht die Stirn zu kräuseln. Dass sie den Bruder begleiten würde, war Avigail entgangen. Hinter dem Paar standen Jothams Schreiber und ein Anwalt bereit, um das Treffen schriftlich festzuhalten und einen Vertrag auszufertigen. Elias’ eigener Schreiber saß auf einem Hocker hinter seinem Herrn und wartete ebenfalls darauf, das Treffen auf Tontafeln aufzuzeichnen.
    »Willkommen im Hause meines Sohns, Em Yehuda«, sagte Avigail zu Zira, auch wenn sie die Zurschaustellung von ausnahmslos goldenen Ringen auf der Stirn dieser Frau – nicht einem einzigen aus Kupfer oder Silber! – reichlich übertrieben fand. Zira hatte keine Ähnlichkeit mit ihrem Bruder, den man, wäre er nicht so fett gewesen, als durchaus gutaussehend hätte bezeichnen können. Zira dagegen war zaundürr, hatte kantige Wangenknochen und einen schlimmen Überbiss.
    Auch wenn sie Jothams Schwester bisher nur bei großen Festen gesehen hatte, war sie selbst erstaunt, wie heftig ihre spontane Abneigung gegen Ziras Anwesenheit in ihrem Haus war. Avigail zog sich mit einer Entschuldigung hinter einen aufwendig geschnitzten Wandschirm zurück, wo sie sich zu Hannah und Tante Rakel und den beiden jüngeren Mädchen setzte, um mit ihnen von dort aus das weitere Geschehen zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Als sie Platz nahm, hörte sie die betagte Rakel murmeln: »Asherah stehe uns bei, Jothams Schwester gefällt mir nicht. Ihre Mutter muss von einem Esel verschreckt worden sein.«
    Avigail und Rakel wandten ihre Aufmerksamkeit Leah und den Gästen zu, als Hannah sich plötzlich vorbeugte und die Hände schützend auf ihren Bauch legte. Ihr Gesicht verriet höchste Bedrängnis.
    Vergangene Nacht hatte sie einen Traum gehabt, der sie noch immer verstörte:
Sie wird wach, als ein Rabe in ihre Bettkammer fliegt, die sie mit ihrem Ehemann Elias teilt. Der Rabe hockt sich ans Fußende des Bettes und sagt zu ihr: »Zweihundert Amphoren deines besten Jahrgangs sind angemessen.«
    Gleich darauf betritt ein Mädchen, das ihrer Tochter Leah ähnelt, mit einer Schüssel voll dampfender Suppe die Kammer. Der Duft von Muscheln breitet sich aus. Als das Mädchen auf das Bett zugeht, fliegt der Rabe unvermittelt wie närrisch krächzend auf und flattert heftig mit den schwarzen Flügeln. Das Mädchen stößt einen Schrei aus, lässt die Suppenschüssel fallen und sinkt, von einem Krampf geschüttelt, zu Boden.
    Hannah ist zu keiner Bewegung fähig. Elias wacht nicht auf. Fassungslos sieht sie mit an, wie sich das Mädchen auf dem Boden windet, wie ihr Schaum und Speichel über die Lippen quellen, wie sie mit Armen und Beinen um sich schlägt und ein durchdringender Laut ihrer Kehle entweicht.
    Dann war Hannah aus dem Schlaf hochgeschreckt und hatte den ganzen Tag in Angst und Schrecken über die Bedeutung dieses Traums nachgegrübelt.
    Jetzt war der Traum wieder da, in allen Einzelheiten und mit all seinen qualvollen Momenten, denn Jothams Schwester in ihrem Witwenkleid ähnelte einem großen schwarzen Vogel, und ihre Nase erschien wie ein Schnabel. Hannah presste die Hand auf den Busen und spürte, wie ganz plötzlich ihr Herz zu rasen begann.
    Jetzt bediente Leah die Gäste, immer darauf bedacht, ihr Gesicht verschleiert zu halten, während sie ihrem Vater, Jotham und Zira Platten mit Essen anbot. Jotham nahm sich eine mit Knoblauch gespickte, ölig schwarz glänzende Olive, und während er sie sich in den Mund schob, erklärte er: »Eins sag ich dir, Bruder, die Ägypter sind pervers. Man stelle sich das mal vor – das mächtigste, das reichste und fortschrittlichste Land der Welt wird von einer Frau regiert!«
    »Für die Fortschrittlichsten würde ich sie
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