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Ilias

Ilias

Titel: Ilias
Autoren: Homer
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17–20) unerkannt in sein Haus einschleichen. Es erfordert freilich große Selbstbeherrschung, die Rolle durchzuhalten, da er von den Freiern übel behandelt wird, mitansehen muss, wie seine Dienerinnen sich mit den Freiern einlassen, und sich nichts anmerken lassen darf, als er nach 20 Jahren seine Frau wiedersieht, obwohl sie schon bei seiner Behauptung, er habe Odysseus einst auf Kreta bei sich zu Gast gehabt, in Tränen ausbricht. Kurz darauf erkennt ihn die alte Amme Eurykleia bei der Fußwaschung an einer Narbe, Odysseus erfasst die Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung blitzschnell und nötigt sie mit einem Griff an die Kehle zum Schweigen. Das echte Wiedersehen mit Penelope kommt erst in Abschnitt 3 (Buch 21–24) im Buch 23 nach der Freiertötung zustande. Und wie ergreifend und psychologisch wahr hat H. es gestaltet! Penelope ist Odysseus’ würdige Partnerin; so gern sie es glauben möchte, sie bleibt misstrauisch, ob der Fremde wirklich ihr Mann ist, und stellt ihn auf die Probe. Sie gibt nämlich Anweisung, ihm außerhalb ihres Schlafgemachs das von ihm selbst gezimmerte Bett aufzuschlagen. Odysseus ist empört, weiß er doch, dass das Bett einen im Haus wachsenden Ölbaum als Pfosten hatte und also unverrückbar war. Damit ist Penelope seiner Identität gewiss, sie bricht in Tränen aus, umarmt und küsst ihn. Endlich ist der von H. immer wieder hinausgezögerte Moment der Wiedererkennung gekommen. Im letzten Buch begegnet Odysseus seinem alten Vater Laërtes. Dann wollen aufgebrachte Verwandte den Tod der Freier rächen. Laertes tötet mit Athenes Hilfe ihren Anführer, aber da machen Athene und Zeus dem Kampf ein Ende und ermahnen alle Ithakesier, jetzt wieder friedlich zusammenzuleben. Damit ist die Geschichte von Odysseus’ Rückkehr abgeschlossen. Insgesamt ist die Struktur der Odyssee wohl nicht ganz so stringent aus ihrem Kernthema entwickelbar wie die der Ilias . Dies hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass die Odyssee eine Reihe märchenartiger Erzählungen enthält, die zwar sorgfältig auf den Gesamtzusammenhang abgestimmt sind, aber bei denen sich der Erklärer doch schwertut, sie als essentielle Bestandteile der Geschichte zu erweisen, was übrigens die neuplatonischen Allegoresen (Odysseus’ Heimkehr als Rückkehr der Seele in ihre intelligible Heimat) begünstigt hat, die gerade diese Passagen in den vermuteten tieferen Sinnzusammenhang einzuordnen vermochten. Trotzdem hat auch die Odyssee keineswegs episodischen Charakter. Ein roter Faden, der sich durch das gesamte Werk vom ersten bis zum letzten Buch hindurchzieht und den Zusammenhalt stärkt, ist der Vergleich zwischen der Umsicht des Odysseus, die seine Heimkehr trotz widrigster Umstände gelingen lässt, und der Arglosigkeit Agamemnons, der kaum zurückgekehrt von Aigisth und Klytaimestra hinterrücks im Bade ermordet wurde.
    Für einen neuzeitlichen Leser ist sowohl H.s Psychologie als auch seine Auffassung von der Wirkung des Göttlichen im menschlichen Bereich nicht ohne weiteres verständlich. Die neuere Forschung hat hier aber vieles klarer zu fassen vermocht. Nicht leicht ist es auch, H. als Dichter zu charakterisieren. Für ihn Typisches muss dabei insbesondere von generellen Eigenschaften mündlicher Dichtung abgegrenzt werden. Neben der Fähigkeit, ein psychologisch und theologisch differenziert aufgefasstes Thema ausführlich zu entwickeln und dabei sein Werk trotz des Umfangs stets gedanklich geschlossen zu halten, sind auch einige literarische Techniken offensichtlich eigene Entwicklungen H.s, so die Schaffung von innerem Zusammenhalt durch die Verbindung von Vorausdeutungen und Vorankündigungen mit Wiederaufnahmen, eine damit zusammenhängende Fähigkeit, Angekündigtes, vom Hörer/Leser Erwartetes immer wieder hinauszuzögern und so den Spannungsbogen zu bewahren, und die Verwendung von teilweise breit ausgeführten Gleichnissen, um einen bestimmten Aspekt einer Situation, häufig eine psychologische Befindlichkeit, anschaulich zu machen. Die Dichte der Sinnbezüge und die Feinheit der Detailgestaltung ist bereits bei diesen frühesten Werken der europäischen Literatur so groß, dass sie sich erst bei mehrmaligem Lesen erschließt. Jede Einzelszene ist ein kunstvoll gearbeitetes Juwel, und doch liegt die wahre Schönheit des Werks in dem großen Zusammenhang, in den diese Szenen jeweils gestellt sind, der von großer Humanität und tiefer Religiosität zeugt. Wer H. kennt, wird ihn auch schätzen. Sein Platz in
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