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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name
Autoren: Sara Paretsky
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nämlich daß alle Juden geldgierig seien. Doch darauf antwortete Max jedesmal: Wen interessiert das Geld hier dertn wirklich? Die Juden? Oder nicht vielmehr die Schweizer, wenn sie sich weigern, es den Leuten zurückzugeben, die es verdient und auf Konten eingezahlt haben? Worauf stets eine heftige Auseinandersetzung folgte. In ihrer Gesellschaft zu sein, war in jenem Sommer ziemlich anstrengend gewesen.
    Auf dem Rücksitz hinter mir plapperte Calia fröhlich vor sich hin. Die Privatdetektivin als Babysitter: Dieses Bild kam einem nicht unbedingt als erstes in den Sinn, wenn man an Krimis dachte. Ich glaube nicht, daß Race Williams oder Philip Marlowe sich jemals als Babysitter betätigt haben. Am Ende jenes Vormittags kam ich zu dem Schluß, daß sie einfach nicht stark genug gewesen waren, um mit einem fünfjährigen Kind fertig zu werden.
    Als erstes ging ich mit Calia in den Zoo, weil ich dachte, das würde die Kleine so müde machen, daß sie sich hinterher ein bißchen ausruhen würde, während ich ein paar Arbeiten in meinem Büro erledigte, aber dieser Optimismus erwies sich als naiv. Sie malte ungefähr zehn Minuten lang mit ihren Buntstiften, dann mußte sie aufs Klo, wollte ihren Großvater anrufen, beschloß, mit mir in dem langen Flur des Lagerhauses, in dem sich mein Büro befindet, Fangen zu spielen, jammerte, sie sei trotz der Sandwiches, die wir im Zoo gegessen hatten, »schrecklich« hungrig, und verkeilte schließlich einen meiner Dietriche in der Rückseite des Fotokopierers.
    Da gab ich auf und fuhr mit ihr in meine Wohnung, wo mir die Hunde und mein Nachbar von unten Gott sei Dank zu ein wenig Ruhe verhalfen. Mr. Contreras, früher Maschinenschlosser und jetzt im Ruhestand, freute sich, sie auf dem Rücken durch den Garten zu tragen; die Hunde begleiteten sie. Ich ging unterdessen hinauf, um am Küchentisch ein paar Anrufe zu erledigen; die hintere Tür ließ ich offen, damit ich hörte, wenn die Geduld von Mr. Contreras sich erschöpfte, doch ich schaffte tatsächlich eine ganze Stunde Arbeit. Danach erklärte Calia sich bereit, zusammen mit den beiden Hunden Peppy und Mitch im Wohnzimmer zu sitzen und sich ihre »Allerlieblingsgeschichte« Der treue Bund und die Prinzessin vorlesen zu lassen.
    »Ich hab' auch einen Hund, Tante Vicory«, verkündete sie und holte ihren blauen Plüschhund aus dem Rucksack. »Er heißt Ninshubur, genau wie der in der Geschichte. In der Sprache des Volkes von der Prinzessin heißt Ninshubur >treuer Freund<.«
    Als Calia und ich uns knapp drei Jahre zuvor kennengelernt hatten, war sie noch nicht in der Lage gewesen, »Victoria« auszusprechen, und seitdem war es bei »Vicory« geblieben. Calia konnte noch nicht lesen, kannte die Geschichte aber auswendig und rief: »Denn lieber verliere ich das Leben als meine Freiheit«, als die Prinzessin sich in einen Wasserfall stürzte, um einer bösen Zauberin zu entgehen. »>Ninshubur, der treue Hund, sprang von Fels zu Fels, ohne auf die Gefahr zu achten.< « Schließlich rettete er die Prinzessin aus dem Fluß. Calia drückte ihren blauen Plüschhund tief in das Buch und warf ihn dann auf den Boden, um seinen Sprung in den Wasserfall zu demonstrieren. Peppy, meine wohlerzogene Golden-Retriever-Hündin, saß in Habachtstellung und wartete auf den Befehl, das Plüschtier zu holen, während ihr Sohn sich sofort darauf stürzte. Calia schrie auf und rannte Mitch nach. Beide Hunde begannen zu bellen. Als ich Ninshubur endlich gerettet hatte, waren wir alle den Tränen nah. »Ich hasse Mitch. Er ist ein böser Hund, ich bin höchst verärgert über sein Verhalten«, erklärte mir Calia.
    Gott sei Dank war es mittlerweile halb vier. Ungeachtet der Bitte von Agnes setzte ich Calia vor den Fernseher, während ich mich duschte und umzog. Auch heute, in der Zeit der legeren Kleidung, erwarten neue Klienten ein professionelles Auftreten, und so schlüpfte ich in ein graugrünes Kostüm und einen rosafarbenen Seidenpullover. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, lag Calia auf dem Boden, den Kopf auf Mitchs Rücken, Ninshubur zwischen seinen Pfoten, und protestierte heftig gegen meinen Vorschlag, Mitch und Peppy zu Mr. Contreras zu bringen.
    »Mitch wird mich verlassen und weinen«, jammerte sie, inzwischen so müde, daß nicht mehr vernünftig mit ihr zu reden war.
    »Weißt du was, mein Schatz? Wir bitten Mitch, Ninshubur eins von seinen Halsbändern zu schenken. Dann erinnert Ninshubur sich an Mitch, wenn er ihn nicht sehen kann.«
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