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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name
Autoren: Sara Paretsky
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zurück, um meine Bücher und meine Kleidung zu holen, die ohnehin nur aus zwei Sets Unterwäsche und einem Kleid zum Wechseln bestand. Victor döste im Wohnzimmer und bekam gar nicht richtig mit, daß ich da war. Miss Skeffing machte eine Familie in North London für mich ausfindig, die mir ein Zimmer zur Verfügung stellte, wenn ich das Kochen für sie übernahm. Und ich begann zu lernen, als könnte ich meine Mutter durch meine Arbeit wieder ins Leben zurückholen. Sobald ich am Abend mit dem Abspülen fertig war, beschäftigte ich mich mit chemischen und mathematischen Problemen und schlief manchmal nur vier Stunden, bevor ich aufstand, um das Frühstück für die Familie zuzubereiten. Und seitdem habe ich eigentlich nie mehr mit dem Arbeiten aufgehört.
    So endete die Geschichte, die Lotty mir an einem trüben Oktobertag auf einem Bügel über einer trostlosen Landschaft erzählte, bis sie zu erschöpft war, um noch weiterzureden. Schwerer fällt es mir festzustellen, wo die Geschichte begann.
    Selbst jetzt noch, da ich ruhig bin und wieder denken kann, ist es schwierig zu sagen, ja, genau, deswegen war 's oder deswegen. In jener Zeit hatte ich tausend andere Dinge im Kopf. Tum Beispiel Morrell, der gerade die letzten Vorbereitungen für seine Reise nach Afghanistan traf. Darüber machte ich mir die meisten Gedanken, aber natürlich versuchte ich gleichzeitig, meine Arbeit zu erledigen, meine ehrenamtlichen Tätigkeiten zu bewältigen und meine Rechnungen zu bezahlen. Vermutlich begann meine eigene Verwicklung in die Geschichte mit Isaiah Sommers, vielleicht aber auch mit der Konferenz der Birnbaum Foundation - mit beiden hatte ich es am selben Lag zu tun.

1
    Babysitter
    »Sie wollten nicht mal die Beisetzungsfeier machen. Die Kirche war voll, die Frauen haben geweint. Mein Onkel war Diakon und ein rechtschaffener Mann. Als er gestorben ist, war er siebenundvierzig Jahre in der Kirche. Meine Tante ist völlig zusammengebrochen, das können Sie sich ja wahrscheinlich vorstellen. Die hatten doch tatsächlich den Nerv zu sagen, daß die Police bereits ausbezahlt worden ist. Aber wann? Das würde ich gern wissen, Ms. Warshawski, oder ob überhaupt. Mein Onkel hat fünfzehn Jahre lang seine fünf Dollar in der Woche eingezahlt, und meine Tante hat kein Wort davon gehört, daß er die Versicherung jemals beliehen oder sie sich auszahlen hätte lassen.«
    Isaiah Sommers war klein und stämmig und sprach langsam und gesetzt, als wäre er selbst Diakon. Ich hatte Mühe, während der Pausen, die er zwischen den Sätzen machte, nicht einzuschlafen. Wir saßen im Wohnzimmer seines Bungalows in der South Side. Es war kurz nach sechs, und der Tag hatte sich für meinen Geschmack schon viel zu lange hingezogen. Ich war bereits morgens um halb neun im Büro gewesen, um jene routinemäßigen Nachforschungen zu erledigen, aus denen meine Arbeit zum größten Teil besteht, als Lotty Herschel mich mit einer dringenden Bitte anrief. »Du weißt doch, daß der Sohn von Max Calia und Agnes aus London mitgebracht hat, oder? Und jetzt hat sich für Agnes plötzlich die Gelegenheit ergeben, ihre Dias in einer Galerie in der Huron Street zu zeigen, aber sie braucht einen Babysitter für Calia.«
    »Ich bin kein Babysitter, Lotty«, sagte ich ungeduldig. Calia ist die fünfjährige Enkelin von Max Loewenthal.
    Aber Lotty schenkte meinem Einwand keinerlei Beachtung. »Max hätte mich nicht angerufen, wenn jemand anders dagewesen wäre. Seine Haushälterin hat heute ihren freien Tag, und er muß zu dieser Konferenz im Hotel Pleiades, obwohl ich ihm tausendmal gesagt habe, daß er sich dort nur unnötig selbst zur Schau stellt - doch das spielt jetzt keine Rolle. Jedenfalls ist er mit seiner Diskussion um zehn dran - sonst hätte er selbst auf Calia aufgepaßt. Ich hab' Mrs. Coltrain bei mir in der Klinik gefragt, aber die haben alle zu viel zu tun. Michael probt den ganzen Nachmittag mit dem Orchester, und die Sache mit der Galerie könnte eine wichtige Chance für Agnes sein. Vic, ich weiß, daß ich dich überrumple, aber es wäre ja auch nur für ein paar Stunden.«
    »Warum fragst du nicht Carl Tisov?« erkundigte ich mich. »Der ist doch auch bei Max, oder?« »Carl und Babysitten? Wenn der seine Klarinette in der Hand hat, merkt er nicht mal mehr, wenn's das Dach über seinem Kopf vom Haus fegt. Das hab' ich selbst mal erlebt, bei den V-i -Angriffen. Kannst du mir sagen, ob du's machst oder nicht? Ich bin gerade bei meiner Runde in
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