Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Titel: Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
Vom Netzwerk:
respektiert es.
    »Ich auch«, sagt sie schnell und steht auf. »Nett war’s! Bis morgen dann!«
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Nils meinen Blick sucht, aber in diesem Moment kann ich ihn nicht ansehen. Das hat nichts mit ihm zu tun, aber es gibt Dinge, die kann ich mit niemandem teilen. Tonja wirft Lukas eine Kusshand zu und wir gehen zu unseren Rädern.
    Auf dem Nachhauseweg reden wir über den Englischtest, für den wir beide noch nichts gemacht haben. Wir verabschieden uns vorne an der Kreuzung. Als ich in meine Straße einbiege, die jetzt ganz im Schatten liegt, wird es spürbar kühler. Ich stelle das Rad in den Fahrradkeller und fahre mit dem Aufzug nach oben. Der Ton vom Fernseher ist bis ins Treppenhaus zu hören.
    »Bist du das, Schatz?«, ruft Mama.
    »Ja.«
    »War’s schön?«
    »Hm.«
    »Hast du Hunger?«
    »Nein.«
    »Okay.«
    Ich ziehe die Schuhe aus und lege eine Hand an die Tür von Antons Zimmer. Ganz leicht, weil sie nicht richtig geschlossen ist und ich nicht will, dass sie aufgeht. Das ist nicht mehr Antons Zimmer, sondern das Büro. Und bei Bedarf Gästezimmer.
    »Gute Nacht«, sage ich. Still, in meinem Kopf. Nicht laut. Es ist lange her, dass ich das laut gesagt habe. Ich erinnere mich noch ganz genau an Mamas und Papas Blicke, kurz nachdem Anton gestorben war. Ich war sechs Jahre alt und wir waren auf dem Spielplatz. Ich stieß seine Schaukel an und unterhielt mich mit ihm im Sandkasten. Sie haben erst mich angesehen und dann einander. Gequält. Und ich war schrecklich wütend, weil sie mich so ansahen.
    Das bin ich nicht mehr. Und seine Schaukel stoße ich auch nicht mehr an. Immerhin geht er jetzt in die Sechste. Würde gehen , meine ich.

Ich finde es nicht gut, die Leute in eine Art Beliebtheitsskala einzuordnen«, sage ich.
    »Das tun doch nicht wir, das machen die Leute doch selber«, sagt Tonja. »Wir bilden nur ab, was schon vorhanden ist.«
    Lukas, Nils, Tonja und ich haben uns in eine abgelegene Ecke in der Bibliothek zurückgezogen. Die Idee von der Liste, die am Anfang noch ganz witzig war, hat plötzlich so etwas Ernstes.
    »Das heißt ja nicht automatisch, dass einer besser ist als ein anderer«, fährt Tonja fort. »Oder mehr wert. Es geht um Macht, und manche Leute haben einfach mehr Macht als andere, oder?«
    »Klar«, sagt Lukas und nickt zustimmend.
    Nils schüttelt den Kopf. »Ich bin Vendelas Meinung. Wie stellt ihr euch das eigentlich vor? Wer von uns kommt zuerst, Lukas oder ich?«
    »Ich, natürlich«, tönt Lukas mit einem breiten Grinsen.
    »Im Ernst«, sagt Nils.
    »Okay, mach einen besseren Vorschlag!«
    »Wir könnten Gruppen zusammenstellen«, schlägt Nils vor. »Die gibt es doch eindeutig. Sven, Emelie, Lovisa und Leo sind eine.«
    »Und jetzt stellt euch vor, wie Lovisa ausrastet, wenn Silja ihren Platz einnimmt«, sagt Tonja. »Lovisa hat es sich mit so ziemlich allen aus der Klasse verdorben.«
    »Aber deswegen wird Silja ihren Platz nicht einnehmen«, werfe ich ein. »Sie wird niemals die Jasagerin von Emelie.«
    »Es gibt drei Leute, die keiner Gruppe angehören«, sagt Nils nachdenklich und offenbar erstaunt.
    »Wer?«, fragt Tonja.
    »Line, Ingela und Oskar.«
    Wir sehen uns schweigend an.
    »Shit«, sagt Lukas. »Ich weiß nicht, ob ich das gut finde.«
    »Aber man kann nicht einfach aufhören, darüber nachzudenken«, überlegt Tonja.
    Dass Line ganz allein am untersten Ende der Skala steht, ist unbestreitbar. Es gibt einige Leute in der Klasse, die scharf an der Grenze des peinlichen Nerds vorbeischrammen, aber niemand wie Line. Tonja und ich haben schon oft darüber gesprochen. Es ist unmöglich, Line in die Gemeinschaft aufzunehmen. Wenn man es ein seltenes Mal schafft, dass sie den Blick unter ihren Haarsträhnen hebt, schlägt einem nur Feindseligkeit entgegen. Sie geht grundsätzlich davon aus, dass alle Hintergedanken haben und ihr Böses wollen. Wenn man ihr versichert, dass man weder das eine noch das andere will, zischt sie einen an, dass sie auf unser Mitleidsgehabe verzichten kann. Wie man’s macht, ist es falsch. Vielleicht ist sie innerlich so kaputt, dass es nicht mehr zu reparieren ist. Ungefähr so, als wollte man eine pulverisierte Porzellanvase wieder zusammenkleben.
    Ingela ist auch eine Ein-Personen-Gruppe, das stimmt, aber auf eine andere Weise als Line. Ingela ist nicht wie die anderen, aber das stört sie nicht die Bohne. Sie spielt Geige, seit sie stehen kann, fährt ständig zu Musikveranstaltungen und hat jede Menge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher