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Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
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gerichtet. Auf diesen Mann. Auf sein Gewehr. Hinter mir war Vergangenes. Meine Gedanken. Das Rascheln von Laub. Der Wind. Das Gefühl, angegriffen zu werden. Etwas, das ich abwehren musste.
    So hat sich alles in meiner Erinnerung abgespielt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das die Wahrheit ist. Ich bin auf der Suche nach den Fakten. Ohne mich vom Fleck zu bewegen. Um frei entscheiden zu können. Um meine Schuldgefühle loszuwerden.

4
    Hauptkommissarin Maria Dolores Vergani ist nicht da. Sie betritt nicht mehr wie sonst jeden Morgen das Mailänder Polizeipräsidium. Sie grüßt nicht mehr mit ihrem Croissant in der Hand, das ihre schwarze Kleidung mit Puderzucker bestäubt. Sie blickt nicht mehr herausfordernd und intelligent in die Augen ihrer männlichen Kollegen. Sie richtet kein Guten Morgen an Hauptkommissar Pietro Corsari und auch nicht an ihren treuen Assistenten Achille Maria Funi. Ihr Büro gibt es noch immer. Niemand will sich darum kümmern, das Zimmer auszuräumen, die wenigen Bilder von der Wand zu nehmen, die Bücherstapel und das Papier auf dem Schreibtisch wegzupacken. Sogar das Foto mit dem Schäferhund bewacht noch immer den leeren Bürostuhl. Oft klingelt sogar noch das Telefon, weil Anrufe versehentlich an sie durchgestellt werden. Zu sehr hat man sich an ihre Anwesenheit gewöhnt. So wie das mit manchen Menschen ist, die sterben oder fortgehen. Sie behalten dennoch ihren Platz. Unsichtbar, aus der Ferne. Als könne man sie von einem Moment auf den anderen wiedersehen, spüren, anfassen. Als kehrten sie wieder zurück.
    Maria Dolores Vergani war von ihrem Amt als Hauptkommissarin suspendiert worden. Für sie war es bereits die zweite Suspendierung. Das erste Mal hatte man ihr die Approbation entzogen, kurz nachdem sie als Psychotherapeutin zu arbeiten begonnen hatte. Eine junge labile Patientin hatte ihr gegenüber die Absicht geäußert, ihren gewalttätigen Lebensgefährten töten zu wollen. Maria Dolores, überzeugt davon, alles unter Kontrolle zu haben, hatte ihrem Supervisor nichts davon erzählt. Doch die junge Frau hatte es ernst gemeint und ihre Worte in die Tat umgesetzt. Ob mangelnde Sorgfalt oder Hochmut, Maria Dolores musste in jedem Fall die Konsequenzen tragen. Mit einer Bewerbung bei der Polizei hatte sie einen Neuanfang gewagt und die Stelle ohne große Schwierigkeiten erhalten.
    Nun jedoch hatte man sie ihres Amtes enthoben, weil man sie der vorsätzlichen Tötung beschuldigte. Nicht alles im Leben geschieht zufällig.
    Zu oft hatte sie die eine oder andere, mal kleinere mal größere, Zuwiderhandlung begangen, die jenseits der Gesetzesgrenze lag. Immer wieder hatte sich in ihr mehr oder weniger perfektes Dasein ein Misston eingeschlichen. Der ihr neue Wege auftat, aber gleichzeitig auch wichtige Türen verschloss.
    Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war sie nicht im Dienst gewesen, und da ihr Gesundheitszustand äußerst kritisch war, hatte sie sich auf ihr Recht berufen, jegliche Aussage zu verweigern. Sie hatte auf der Krankenstation des Gefängnisses von Aosta gelegen und apathisch die Wände angestarrt. Dann hatte man sie nach Hause geschickt. Nicht zu sich, sondern zu ihren Eltern, wo sie nun unter Hausarrest stand. Ein Zugeständnis an sie, nachdem weder die Gefahr der Unterschlagung von Beweisen noch die der Verdunkelung bestand, ebenso wenig wie das Risiko eines Suizids. Außerdem ging es ihr alles andere als gut, und ihr körperlicher und psychischer Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag.
    Man hatte sie handlungsunfähig gemacht. Ihr die Möglichkeit genommen, selbst zu ermitteln, zuzuhören, Fragen zu stellen und die Stunden des Tages mit jenen zu verbringen, die, wie sie, auf der Suche nach einem konkreten Motiv waren. Oder einem Sinn.

5
    »Neunzehn Zähne. Besitzen wir denn überhaupt so viele?« Achille Maria Funi sitzt Hauptkommissar Pietro Corsari gegenüber. Zwei Männer, die in ihrem Äußeren nicht unterschiedlicher sein könnten, mit Gewohnheiten, die ihre Körper in entgegengesetzte Richtungen geformt hatten: Corsari besaß gestählte Muskeln, während sich unter Funis Hemd eine weiche Taille abzeichnete. Der eine bevorzugte Gel, um sein Haar zu bändigen, der andere kultivierte einen ungezähmten Wildwuchs. Corsari stand auf Parfum, Funi auf Körpergeruch. Den offenen Blick hatten beide gemeinsam sowie die Angewohnheit, keine unnützen Worte zu verlieren.
    »Er hat ohne ersichtlichen Grund neunzehn Zähne gezogen. Sie waren nicht mal von Karies
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