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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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über Ingrid reden, und ich würde wie eine Idiotin auf meine Hände stieren. Oder sie würden nicht über Ingrid reden, und stattdessen würde ein immer zäher werdendes Schweigen herrschen.
    Auf dem Pfad zwischen den Wohnblöcken knirschen Räder über Kies, dann taucht Taylor Riley auf seinem Skateboard auf und sieht viel größer aus als früher. Er sagt nichts. Meine Schuhe wirbeln Staub auf. Er überholt mich, dann wartet er darauf, dass ich ihn einhole. Das macht er immer wieder, schweigt und schaut mich nicht an.
    Sein Haar ist von der Sonne gebleicht, er ist braun gebrannt und voller Sommersprossen. Er könnte in einer Fernsehserie mitspielen – der beliebteste Junge der Schule, der sich seiner Vollkommenheit gar nicht bewusst ist. Im Fernsehen würde er das Skateboard gegen ein Fußballtrikot eintauschen. Statt herumzusitzen und gelangweilt aus der Wäsche zu kucken, würde er Trophäen sammeln. Er käme in einem teuren Auto und mit einer lächelnden Schönheit auf dem Beifahrersitz zur Schule und würde nicht auf dem Trampelpfad neben einem schweigenden Mädchen herfahren.
    Hinter der nächsten Ecke fahren alle auf den Parkplatz der Highschool. Ich möchte umkehren und nach Hause rennen.
    »Das mit Ingrid tut mir leid«, sagt Taylor.
    Automatisch antworte ich: »Danke.«
    Ein Auto nach dem anderen fährt an uns vorbei und biegt auf den Parkplatz ein. Alle Mädchen kreischen und umarmen sich, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen. Die Jungs hauen sich zur Begrüßung gegenseitig die Pranken auf die Rücken. Ich versuche, nicht hinzusehen. Taylor und ich stehen uns gegenüber, wir sehen auf sein Skateboard runter. Eine Autotür knallt zu. Schritte. Alicia McIntosh kommt mit weitausgebreiteten Armen auf mich zu.
    »Caitlin«, flüstert sie.
    Ihr blumiges Parfüm ist mir zu viel. Ich kämpfe gegen ein Würgen an.
    Sie macht einen Schritt zurück und hält mich dabei an den Ellbogen fest. Sie trägt enge Jeans und ein gelbes Tanktop, auf ihrer Brust steht in blauen Pailletten QUEEN . Die offenen roten Haare fallen ihr bis auf die Schultern.
    »Du bist so stark«, sagt sie. »Dass du zur Schule kommst! An deiner Stelle würde ich … ich weiß nicht. Wahrscheinlich würde ich mich immer noch unter der Bettdecke verstecken.«
    Sie glotzt mich an, dieser Blick soll wohl bedeutungsschwer sein. Ihre grünen Augen weiten sich noch mehr. In der Theater- AG hat die Lehrerin uns erklärt, wenn man die Augen lange genug aufreißt, fängt man zu heulen an. Ich frage mich, ob Alicia vergessen hat, dass wir zusammen in dieser AG waren. Sie drückt immer noch meine Ellbogen, und endlich kullert ein Tränchen über ihre Sommersprossen.
    Alicia
, möchte ich sagen.
Irgendwann kriegst du bestimmt den Oscar
.
    Stattdessen sage ich: »Danke.«
    Sie nickt, runzelt die Stirn und quetscht sich noch eine letzte Träne ab.
    Dann konzentriert sich ihr Blick auf etwas in der Ferne. Ihre Clique kommt auf uns zu. Sie tragen alle Variationen des gleichen Tanktops. PRINCESS, ANGEL, SPOILED . Wahrscheinlich ist Alicia dieses Jahr der Boss. Ich sollte mich freuen, dass ihre Hände nicht länger meine Blutzirkulation unterbrechen.
    »Du kommst wegen mir noch zu spät zum Unterricht. Aber bitte denk daran: Falls du was brauchst, kannst du auf mich zählen. Wir haben zwar schon seit längerem nichts mehr zusammen unternommen, aber wir waren mal echt gute Freundinnen. Ich bin für dich da. Tag und Nacht.«
    Unvorstellbar, dass ich jemals Alicias Freundin war. Nicht weil wir uns inzwischen völlig auseinanderentwickelt haben, sondern weil ich überhaupt nicht an die Zeit vor der Highschool denken kann, an eine Zeit ohne Fotografieren und Prüfungen und den Druck, aufs richtige College zu kommen.
    Eine Zeit vor Ingrid.
    Ich kann mich an Alicia als kleines Kind erinnern, wie sie im Sandkasten stand, die Hände in die Hüften gestemmt, und behauptete, sie wäre das letzte Einhorn. Und ich kann mich an ein Mädchen mit braunen Zöpfen und hellen Cordhosen erinnern, das über den Asphalt galoppierte und sich einbildete, es wäre ein Pferd, und ich weiß, dass ich dieses Mädchen war, aber das ist weit weg, als wäre es die Erinnerung einer Fremden.
    Alicia drückt meine Ellbogen ein letztes Mal, und dann lässt sie mich frei.
    »Taylor«, sagt sie. »Kommst du mit?«
    »Klar, gleich.«
    »Wir kommen zu spät.«
    »Dann geh schon vor.«
    Sie verdreht die Augen. Ihre Freundinnen sind da, und sie führt sie zum Englisch-Trakt.
    Taylor
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