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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Autoren: Arena
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Kopfschütteln
    Krause: »Es ist in Ordnung. Ich sehe das ja auch, wie es Ihnen geht.«
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 17. Juni 2011, 11:02 Uhr

2. Forum für Missbrauchsopfer
    »Es ist sehr wichtig, dass man Missbrauchsopfern bedingungslos glaubt! Es ist für viele Opfer eine zusätzliche Belastung, dass sie Angst davor haben, dass ihnen niemand glauben könnte, was sie erlebt haben. Je größer das Vertrauen und die Wertschätzung den Opfern gegenüber sind, desto besser sind die Heilverläufe.«
    Christian Luedke, Psychotherapeut
    I ch fühle mich furchtbar. Seit der Vernehmung ist alles wieder total präsent: die Angst vor meinem Stiefvater, die Sorge um meine Mutter, meine Schuld- und Ekelgefühle. Alles.
    Schon am Nachmittag nach der Vernehmung rufe ich bei Herrn Krause an und bitte ihn, die Anzeige zurückzuziehen: »Bitte, ich schaffe das nicht! Ich will das nicht!«
    Doch er erklärt mir, dass das nun nicht mehr möglich wäre: »Ich verstehe Sie ja. Aber das ist nun auf den Weg gebracht, da können wir nichts mehr machen. Glauben Sie mir: Es war die richtige Entscheidung. Sie sind nun endlich aus der Opferrolle ausgebrochen. Das ist gut so!«
    Gut so? Der hat gut reden! Für ihn und seine Statistik ist das vielleicht gut. Für mich ist es ein Albtraum. Aber das sage ich nicht. Ich sage gar nichts mehr. Stattdessen redet er: »Haben Sie sich schon beim Weißen Ring gemeldet? Die helfen Ihnen bei der Suche nach einem Anwalt. Oder soll ich das für Sie machen und die melden sich dann bei Ihnen? Ach, und ich habe mal geschaut. Wir könnten die Vernehmung in drei Tagen fortsetzen. Am Montag, den 20.? Gegen zwei?«
    Und weil ich nicht antworte, hakt er noch einmal nach: »Sie kommen?«
    Leise sage ich: »Ja.«
    Er will mich noch aufmuntern, aber ich breche das Gespräch ab und lege auf. Mir wird bewusst, dass es nun kein Zurück mehr gibt. Nun kommt alles raus. Diese Erkenntnis bricht auf mich ein, schmeißt mich um und vergräbt mich. Ich brauche Hilfe! Und zwar schnell! Alleine schaffe ich das nicht.
    Glücklicherweise scheint Herr Krause das geahnt zu haben. Er hat sich umgehend für mich eingesetzt, denn nur wenige Minuten, nachdem wir aufgelegt haben, klingelt mein Telefon und es meldet sich eine nette Dame vom Weißen Ring. Wie eine Ertrinkende greife ich nach allem, was mich retten könnte.
    Als ich die ruhige Frauenstimme höre, kann ich kaum sprechen. Ich flüstere in den Hörer, erzähle von meinem Tag, meiner Aussage bei der Polizei und dass man die Anzeige nun nicht mehr zurückziehen kann. Die Frau vom Weißen Ring scheint das zu kennen: »Jetzt, wo die Polizei Kenntnis hat, müssen die Beamten auch ermitteln. Aber so schwer Ihnen das nun fällt, erfahrungsgemäß ist das der erste Schritt der Opfer, das Geschehene zu verarbeiten.«
    Die Frau ist nett, aber ich fühle mich nicht verstanden. Ich spüre, dass sie nicht fühlt, was ich fühle. Und das enttäuscht mich. Obwohl das natürlich ungerecht ist, hatte ich irgendwie auf ein Wunder gehofft, darauf, dass sie Sachen sagt, die mich beruhigen, die mir Zuversicht geben, irgendetwas. Stattdessen gibt sie mir nur die Nummer eines Anwalts: »Der kennt sich mit Geschichten wie Ihrer aus und wird Sie gut vertreten. Melden Sie sich, wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann.« Dann legen wir auf.
    Voller Hoffnung, dass nun der Anwalt der ist, der mich rettet, der mir seinen Arm reicht und mir Halt gibt, rufe ich sofort bei ihm an. Aber er wirkt noch viel unbeholfener als die liebe Frau vom Weißen Ring. Unsicher stammelt er am Telefon herum. Letztendlich vereinbaren wir nur einen Termin und er verspricht, mich zur nächsten Polizeivernehmung zu begleiten. Noch ein Zuhörer mehr! Als wir unser Gespräch beenden, gerate ich in Panik. Meine Ohren werden wieder wie taub und mein Gehirn dreht sich. Oder dreht sich das Zimmer? Was habe ich getan? Warum habe ich das nicht einfach ruhen lassen? Ich war doch ausgezogen, seitdem hatte er mich meist in Frieden gelassen. Warum musste ich das nun alles aufwirbeln?
    Ich werde wie in einen Strudel gezogen und verliere die Kontrolle über mich. Ganz plötzlich halte ich ein Küchenmesser in der Hand. Mein größtes. Mit der schärfsten Klinge. Die Welt droht, mich zu zerquetschen. Ich bekomme kaum noch Luft. Die Gefühle in mir blähen sich auf. All der Schmerz, die Wut, die Hoffnungslosigkeit. Ich kann nichts mehr sehen oder hören. Die Tränen schmerzen in meinen Augen. Mir ist alles zu viel. Alles tut
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