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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Autoren: Arena
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hatte er das Gästezimmer geräumt und war in ein Heim gezogen. »Da ist er besser versorgt«, erklärte meine Mutter. Und damit war das Thema für sie erledigt. Für mich nicht, aber ich traute mich nicht, danach zu fragen. Mein Bruder auch nicht. Über Probleme wurde bei uns nicht gesprochen, jeder musste alles mit sich alleine ausmachen. Aber das war okay so. Ich kannte es ja nicht anders.
    Ich seufze. Vielleicht fällt es mir deshalb auch extra schwer, dem Polizisten jetzt und hier aus meinem Leben zu erzählen.
    Krause: »Nun mal im Ernst: Wie haben Sie das denn bezahlen können? Ich kann mir schon vorstellen, wie teuer das sein muss: eine eigene Wohnung, Nahrungsmittel …«
    Ich: »Ich habe halt nebenbei angefangen zu arbeiten.«
    Krause: »Und als was? Haben Sie gekellnert oder Zeitungen ausgetragen?«
    Ich: »Nein, ich habe mich mit Männern getroffen und dafür Geld bekommen.«
    Krause: »Und was haben Sie dann gemacht?Sich einfach getroffen, zusammen hingesetzt, geredet? Und dafür haben Sie Geld bekommen? Das klingt ja nicht so schlecht.«
    Ich: »Meine Güte, nein! Natürlich nicht! Natürlich haben die mich nicht fürs Angucken bezahlt. Das wissen Sie doch genau. Natürlich war ich mit denen im Bett, habe mich anfassen lassen, denen tolle Wünsche erfüllt …«
    Krause: »Was hat Sie denn auf die Idee gebracht, sich gerade einen solchen Nebenjob zu suchen? Ich meine, nehmen Sie mir es bitte nicht übel, aber es ist ja nicht der beliebteste oder ein angesehener Job. Und Sie sind ja nicht dämlich, sodass Sie auch etwas anderes hätten finden können.«
    Ich: »Und wo kann man bitte sonst in so kurzer Zeit so viel Geld verdienen?«
    Krause: »Und das ist es Ihnen wert, sich zu verkaufen? Oder hat es Ihnen Spaß gemacht?So wie Sie aussehen, sicher nicht.«
    Ich: »Was denken Sie denn? Natürlich hat es keinen Spaß gemacht! Aber immerhin war es meine eigene Entscheidung. War ja schon mal ein Fortschritt. Und meine Güte! Es ist doch eh vollkommen scheißegal, ob man sich nun vom Stiefvater ficken …«
    Schweigen
    Krause: »Möchten Sie weiterreden? Was hat Ihr Stiefvater damit zu tun?«
    Ich: Schweigen
    Krause: »Vielleicht verstehe ich es gerade falsch. Dann klären Sie mich bitte auf. Aber hat er Ihnen schon einmal was angetan?«
    Ich: Weinen
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 17. Juni 2011, 10:42 Uhr
    Es ist raus, denke ich in diesem Moment. Etwas, das seit etwa neun Jahren in mir pocht und hämmert, was mich wütend macht und traurig, weswegen ich mich schmutzig fühle und schuldig. Etwas, das mir jeden Tag auf die Seele drückt, sie kleinhält und einsperrt und zerquetscht und zerhackt. Trotzdem wünsche ich mir sofort, ich könnte das Gesagte zurücknehmen. Aus Angst vor den Folgen, die es haben wird: für mich, meine Mutter. Ich mag gar nicht daran denken … Aber dass es Folgen haben muss, ist mir sofort klar. Sofort.
    Ich ärgere mich über mich. Es war nur dieser kurze Moment, als ich wollte, dass Herr Krause mich versteht. Als ich nicht wollte, dass er denkt, ich hätte mich gerne und freiwillig beim Escort-Service beworben, da konnte ich nicht anders. Ich hatte das Gefühl, ich müsste dem netten Herrn Krause diesen ganzen Mist auf den Tisch kotzen, damit ich ihn los bin.
    Nun ziehe ich mich wieder komplett zurück. Tränen strömen über mein Gesicht. Tonlos – wie immer. Ich weine vollkommen tonlos.
    Bilder kommen in mir hoch, Situationen, die mir die Kehle zuschnüren. Auf keinen Fall werde ich sie hier erzählen können. Ich ärgere mich, dass ich mich nicht besser im Griff hatte und alles für mich behalten habe. Ich bin so doof! Dumm, abstoßend, schmutzig und unendlich blöd!
    Hin und her. Aufbäumen und zusammensinken. Schließlich fühle ich mich nur noch kraftlos. Viel zu schwach, um noch irgendetwas zu tun oder zu sagen. Kriminalkommissar Krause betrachtet mich und sagt dann: »Sollen wir eine Pause machen?« Ich nicke. Mehr geht nicht. Am liebsten hätte ich jetzt eine Pause für immer und von allem.
    Während wir den Raum verlassen, werfe ich einen vorsichtigen Blick auf meinen verhörenden Polizisten. Nur aus den Augenwinkeln, einen direkten Blickkontakt vermeidend. Ich schäme mich zu sehr für das, was er nun von mir weiß, auch wenn er mir nicht das Gefühl gibt, dass ich mich schämen müsste. Er wirkt eher mitleidig besorgt als angewidert. Er behandelt mich wie ein rohes Ei, als er mich zu einer Sitzecke am Ende des Flurs begleitet – Berührungen vermeidend.
    In
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