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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Autoren: Arena
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entschieden, das Elternhaus so früh zu verlassen? War es nicht praktisch, noch etwas bekocht und betüddelt zu werden?«
    Ich: Schweigen.
    Krause: »O. k. Anscheinend nicht. Wie haben Sie das denn finanziert? Haben Sie Unterstützung von Ihren Eltern bekommen oder sind Sie bei Freunden oder anderen Familienangehörigen untergekommen?«
    Ich:»Nein, ich bin in eine kleine Wohnung gezogen.«
    Krause: »Und die haben die Eltern bezahlt?«
    Ich: Schweigen.
    »Nein, ich habe doch gesagt, die haben mich nicht unterstützt. Ich musste selber zusehen, wie ich klarkomme.« Krause: »Und sind Sie klargekommen?«
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 17. Juni 2011, 10:15 Uhr
    Bei diesen Fragen fühle ich mich in die Ecke gedrängt. Mein Kopf senkt sich ganz automatisch. Ich möchte Kommissar Krause nicht ansehen. Ich möchte mich wegdenken. Was glaubt der denn? Wahrscheinlich hatte Herr Krause ein liebevolles Elternhaus, in dem Mutti gefragt hat, wann er nach Hause kommt, damit dann pünktlich das Essen auf dem Tisch steht. Aber so war mein Zuhause nicht. Früher vielleicht. Als mein Vater noch lebte. Ja, da war es noch eine heile Welt. Vater, Mutter, mein zwei Jahre älterer Bruder Alex und ich. Und mein Pony Pedro natürlich, auf dem ich reiten gelernt habe.
    Mein Vater war selbstständig mit einem kleinen Verlag. Es ging uns gut. Finanziell und auch so. Am liebsten erinnere ich mich an unsere schönen Urlaube. In den Herbstferien waren wir meistens in Amerika und Ostern oder Weihnachten im Disneyland Paris, das fand ich besonders toll. Auf der Fahrt haben wir CDs gehört, Kinder-CDs, da haben Alex und ich uns immer durchgesetzt. Und wir haben diese typischen Spiele gespielt: aus Nummernschildern Sätze bilden, wer weiß zuerst ein Tier mit dem Anfangsbuchstaben auf dem Nummernschild?, all so etwas. Dabei haben wir viel gelacht.
    Sie haben sich gut verstanden, meine Eltern. Und sie haben sich toll um uns gekümmert. Jeden Donnerstag hatten wir »Mädels-Ausgang«, das heißt, Mama und ich sind alleine losgezogen. Meistens waren wir Eis essen und anschließend durfte ich mir in einem kleinen Spielzeuggeschäft neben der Eisdiele ein Gummitier aussuchen. Die habe ich gesammelt und hatte schon eine richtig große Kiste voll. Das war schön. Jeden Donnerstag dasselbe Ritual …
    Mein Vater wollte immer etwas Neues entdecken. Beinahe jedes Wochenende hat er uns mit einer Ausflugsidee oder einer Kurzreise überrascht. Er wollte uns die ganze Welt zeigen.
    Und er konnte sie uns auch erklären, denn er wusste unglaublich viel. Alles konnten wir ihn fragen: zu Sternbildern, Tieren, Mathematik-Hausaufgaben – und alles hat er uns geduldig und anschaulich erklärt. Unser Papa war ein toller Vater: geduldig, liebevoll, verständnisvoll und lustig. Wir waren eine richtig glückliche Familie.
    Doch dann wurde seine Krankheit schlimmer, von der wir Kinder bis dahin nur wussten, dass er sie hatte und dass sie ihn ein bisschen schwächer machte: multiple Sklerose, eine unheilbare Nervenerkrankung. Früher war er einfach nur ein bisschen wackeliger unterwegs, aber dann ging alles wahnsinnig schnell – plötzlich saß Papa im Rollstuhl. Das war erst mal gar nicht schlimm, also für mich nicht. Schließlich konnte er mir weiterhin Geschichten erzählen und die Welt erklären. Nun musste Mama eben das Auto fahren, wenn wir verreisten. Ich habe ihm geholfen, sich anzuziehen, habe ihm Brote geschmiert und seinen Rollstuhl geschoben. Das habe ich gerne gemacht und mich dabei groß und selbstständig gefühlt. Leider musste er nun auch häufiger für längere Zeit ins Krankenhaus und ich war jedes Mal überglücklich, wenn er wieder nach Hause kam.
    Weil das Schlafzimmer im ersten Stock lag, ist Papa irgendwann in unser Gästezimmer im Erdgeschoss gezogen. Ohne Mama. Die konnte ja weiter Treppen steigen und wollte im Schlafzimmer bleiben. Damals habe ich das nicht so verstanden, aber es war wohl schon das erste Anzeichen, dass sich zwischen meinen Eltern etwas veränderte. Meine Mutter führte den Betrieb weiter, mein Vater sollte sie beraten. Aber eigentlich stritten sie nur noch. Ich habe das nicht verstanden. Papa war doch noch immer derselbe. Noch immer der liebevolle, witzige, schlaue Geschichtenerzähler. Aber meine Mutter war nur noch überfordert und genervt, hatte ständig schlechte Laune und meckerte dann auch oft mit uns Kindern rum.
    Als ich etwa acht Jahre alt war, kam ich von der Schule nach Hause und Papa war weg. Ohne Vorwarnung
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