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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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»in Ruhe gehen kann«. Wie verlogen eigentlich.
    Ich fange an zu überlegen, ob ich nicht lieber die Finger von Burkina Faso lasse. Das ist nämlich alles viel gefährlicher und gewaltiger, als das selbst die Besserwisser aus Deutschland nur im Ansatz erahnen. Die ganze Situation zwischen Schwarz und Weiß ist so dermaßen festgefahren. Das merkt man spätestens, wenn die Zuschauer die Macht übernehmen. Sogar einer vom Goethe-Institut hat anhand eines Probenfotos, das ich ihm aus Burkina vom Casting zu »Via Intolleranza« geschickt hatte, die Kritik geäußert; dass hinter dem Tisch die Weißnasen sitzen und sich die Schwarzen anschauen. Dass hinter dem Tisch sonst Irène Tassembedo, die Leiterin der Tanzschule in Ouagadougou, und die schwarzen Übersetzer und ein Pulk von Rappern oder sonst wer sitzt, kommt leider nicht rüber, weil ich selbst das Foto mit allen Leuten auf der Bühne geschossen habe. Daran sieht man doch, dass selbst er denkt, dass wir uns den Tisch als Barriere oder Grenze zu den Schwarzen aufgebaut haben. Es ist wirklich kaum zu fassen. Da sieht der Typ vom Goethe-Institut einen Tisch mit Weißen dahinter und vermutet gleich den Grenzzaun.
    Da ist wirklich sehr viel, was da gerade alles zu beachten ist. Und für mich eben zu viel. Das tut mir leid, aber ich muss mir leider eingestehen, dass ich hier nichts zu suchen habe. Carl und Anna sagen zwar: »Die Kunst darf Dinge ausprobieren« – und das hilft auch erst mal ein paar Minuten. Aber die Unsicherheit, etwas Falsches zu tun, ist im Moment größer als die Kunst.
    Und dann all die deutschen und europäischen Bedenkenträger – ich halte sie kaum noch aus: »Sie müssen das anders machen … das klappt hier alles nicht … Sie werden schon sehen… das wird schwierig, schwierig, schwierig.« Und immer wieder die Frage: »Warum bauen Sie das Operndorf nicht in der Stadt?« Immer wieder die Leute, die mir erklären, ich müsse mich jetzt sofort bei ihnen informieren, wie das in Burkina laufe, wer hier gutes Theater mache etc. etc. Manche Leute empfehlen jemanden, der sogar schon in Avignon war! Hört, hört! Ich kenne Avignon und finde es das Geschmäcklerischste, Mieseste, was man Theater antun kann. Und wer es nicht schafft, läuft auf Stelzen durch die Stadt oder geht in eine angemietete Garage, um endlich von den »wirklich Wichtigen« gesehen zu werden. Ich stelle mir immer die Frage, wer beim Theater eigentlich die Wichtigen sein sollen. Und was diese französische Kammerspiel- und Kitschästhetik soll, die da bei gutem Rotwein goutiert wird. In Avignon und natürlich auch in, brrrrr, Paris.
    Aber was rede ich? Ich will doch eigentlich Frieden. Ich habe doch gar keine Lust mehr, diese Kriege von früher zu führen. Aber solche Leute machen natürlich klar, dass sofort hundert verhinderte Kulturentwicklungshelfer am liebsten die Jury des Operndorfes leiten würden, auch wenn die gar nicht vorgesehen ist. Oder kennen die irgendwelche Statuten, die hinter meinem Rücken entstanden sind? Ich habe auch Leute getroffen, die fast in sich versunken sind, als ich ihnen sagte, dass ich ihre Empfehlungen interessant fände, dass aber das Operndorf die Ausbildung von Sechsjährigen im Kopf habe. Also keine Avignonveteranen, keine Entwicklungshilfekünstler oder sonst was. Ich bitte wirklich alle, mit ihrem wahnsinnig unangenehmen, peinlichen Kultur-Monopolismus aufzuhören. Und ich möchte, dass die Leute sich Zeit lassen. Dass sie diesen deutschen Ton einfach mal abschalten. Dass sie nicht jetzt schon wissen, dass das alles sowieso nicht geht. Dass sie aufhören, alles ohne genaue Informationen schon im Vorfeld als falsch einzustufen. Die sollen sich selbst zersägen. Die sollen sich in kleine handliche Teilchen schneiden, sich in einen Rahmen einspannen und ihren Kindern oder Ehefrauen oder Ehemännern über den Herd hängen. Mehr ist nicht mehr drin. Und wer nicht kommt, der kommt nicht. Und wer alles besser weiß, der weiß alles besser. Und wer dann sowieso nur auf den Untergang hofft, der sollte nach Bayreuth in die Götterdämmerung gehen, am besten in die DVD von Chereau reinschauen. Da drehen sich alle zum Schluss zum Publikum: die Industrialisierung, das Feuer, der Untergang und doch dieser merkwürdige Eindruck von Massen in Verantwortung! Seht ihr das Zeichen der Zeit! Lasst uns hoffen, dass wir nicht alle verbrennen! Im Licht soll unsere Zukunft ruhen! –
    Noch zur Erklärung. Das Operndorf entsteht genau deshalb eine Stunde von
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