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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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gegründet hat. Und keiner weiß mehr genau, wie’s geht, das ist wichtig!
    Diese Mutterkornsache wollte ich eigentlich viel später erzählen, aber egal. Mittlerweile habe ich nämlich sehr gute Mitarbeiter, die ich auch brauche, weil ich nicht mehr so flott wie früher bin. Deshalb hat mir Michael Gmaj, ein junger Dramaturg aus Leipzig, den groben Ablauf glücklicherweise aufgeschrieben, zum Beispiel wie ich beginnen soll. Da gibt es also die Begrüßung, die habe ich jetzt gemacht, und dann steht da zweitens: Wie geht es mir gerade?
    Ja, wie geht es mir gerade?
    Es ist so, dass ich vor ein paar Wochen aus den Flitterwochen gekommen bin. Ist ganz toll, verheiratet zu sein, Aino, meine Frau, lässt herzlich grüßen. Sie ist echt knuffig, hatte aber gestern eine ganz harte Zahnoperation – Achtung, Neuigkeiten für die Boulevardpresse! –, die Backe ist allerdings schon wieder abgeschwollen und sie wird es überleben. Aber wir sind eben gerade wahnsinnig interessant für diese Leute vom Boulevard, weil so komische Sachen bei uns passieren. Vieles wissen sie nicht und das ist auch gut so, aber trotzdem erzähle ich weiter von mir, von uns – und ich finde das eigentlich auch nicht falsch. Ich habe gelesen, man soll keine Krebsliteratur schreiben, weil das unschön wäre und stören würde. Und dann würde das irgendwie auch die Würde der Sterbenden infrage stellen. Das haben jedenfalls ein paar Journalisten vom Stapel gelassen. Ich habe mir nur gedacht, bei acht Millionen Liebesromanen und bei fünftausend Büchern zum neuen Porsche können sechzig Krebsbücher die Suppe beim besten Willen nicht versalzen. Und natürlich wird wieder alles in einen Topf geworfen. Ich halte auch nichts davon, dass irgendwelche Leute mit ihrer Krankheit bis zum Gehtnichtmehr hausieren gehen und nachher noch behaupten, sie hätten den Krebs besiegt. Mir geht es darum, zu sagen, dass diese Krankheit jetzt ein Teil meiner Arbeit ist, weil ich ja Leben und Arbeit nie getrennt habe, und dass ich es deshalb nicht verschweige, wenn ich merke, meine Gedanken werden anders, oder ich bin plötzlich behindert, oder ich kann nicht mehr an die Zukunft glauben so wie andere Leute.
    Deutschland hat da in Sachen Kritik natürlich auch einen wahnsinnigen Vorsprung gegenüber anderen Ländern, weil wir grundsätzlich immer schon wissen, was alles nicht klappt, was alles total falsch ist, dass sowieso alles immer nur wegen des Geldes stattfindet, dass der sowieso ganz komische Absichten hat und dass ja sowieso alles ganz mies hier ist. Richtige Lust und richtige Freude sind jedenfalls in diesem Land Mangelware. Ich hab aber – und das kann ich mit gutem Gewissen sagen – ein Leben lang dafür gekämpft, dass in Deutschland eine Sache auch mal Freude bringt oder dass man sich mal mit Freude für etwas einsetzt. Und ich glaube, viele haben mitgemacht, weil sie das gespürt haben, und darauf bin ich tatsächlich stolz. Natürlich haben wir dann gleich wieder die Bleidecke auf den Kopf gekriegt, aber im Kern ist es ein Gefühl, das geblieben ist. Ich denke, die drei Begriffe, die immer dabei waren, sind Toleranz, Intoleranz und Ignoranz. Vor allem Ignoranz. Wenn einer ignorant wurde, dann bekam er gleich das Gegenteil von dem, was er wollte. Auch jetzt noch: Wenn jemand anfängt, jemanden ignorant zu behandeln, und ihn nicht anhören will oder keine Zeit für ihn hat, dann ist er dran, dann ist er einfach ziemlich bald fertig. Diesen Kampf führe ich immer noch sehr gerne, da bekomme ich sehr viel Kraft. Darum: Ignoranten bitte kommen, das pusht das Immunsystem und das kann ich zurzeit gut gebrauchen.
    Also, wie geht es mir gerade? Ich nehme diese Frage jetzt mal ernst und da muss ich sagen, es ist leider so, dass nach den Flitterwochen die Metastasen wieder aufgetaucht sind. Man muss sich das mal vorstellen: Ich habe seit einiger Zeit etwas in mir, was nicht sterben will. Die Unsterblichkeit ist in mir zu Gast. Und diese Unsterblichkeit kann töten – mich. Der Gottvater oder der Herrgott oder wie auch immer der heißt, kann auch nicht sterben. Ist aber allmächtig. Wie geht denn das, dass jemand allmächtig ist, aber nicht mal sterben kann? Sterben kann doch jeder. Aber Gott nicht! Gott ist unsterblich – das sagt sich so leicht, das ist ja auch sehr schön für ihn, herzlichen Glückwunsch! Aber in mir ist auch das Unsterbliche, weil dieser Krebs keinen Schalter zum Ausschalten hat bzw. die anderen Zellen drum herum den Schalter nicht finden. Das
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