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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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geht immer weiter. Eigentlich ist Gott wie der Krebs, der muss auch immer weitermachen, der kommt auch nicht zu Potte. Und wenn es eine Gemeinsamkeit gibt zwischen Gott und mir, dann ist es vielleicht der Schmerz: der Schmerz Gottes, dass er nicht sterben kann, mein Schmerz, dass ich nicht Gott sein kann. Dieses Voneinander-getrennt-Sein verbindet kolossal.
    Das sind solche Gedanken, die einem ständig durch den Kopf gehen. Über all das und auch über meine Kämpfe gegen die katholische Bildersoße in mir habe ich vor ein paar Tagen mit einem wunderbar klugen und lieben katholischen Theologen gesprochen. Johannes Hoff heißt er, unterrichtet in Wales und denkt sehr anders: Meister Eckhart, Cusanus, Dekonstruktion, radikale Orthodoxie und ich weiß nicht, was noch, alles ziemlich durcheinander. Aber es ist ein schönes Durcheinander, ein sehr entspannendes Durcheinander. Man hört gerne zu und hat das Gefühl, dass Gott selbst gerade gar nicht das Thema ist, dass es auch mit den Heiligen nicht mehr diese ganzen Querelen gibt: Wer ist denn hier zuständig? Kommt Erzengel Gabriel? Oder kann mir Antonius helfen? Was ist mit dem heiligen Michael? Wo ist der Drachen? Man hat wirklich ziemlich viele Bilder im Kopf, man ist echt vernebelt von den Bildern im Katholizismus. Es funktioniert ja auch glänzend, wenn man dran glaubt. Vor Kurzem war mal ein Kettchen weg, da hab ich dem heiligen Antonius Geld versprochen – und zack, war das Kettchen wieder da, ist ja klar. Und Erzengel Gabriel hat mir meinen tollen Arzt besorgt, natürlich. Wenn man aber total abhängig davon wird, wenn man seine Autonomie verliert, dann ist das entsetzlich. Und genau das will die katholische Kirche ja mit ihrem Brimborium: Sie will, dass wir unsere Autonomie verlieren, sonst hätte sie das Kostümfest in Rom nicht erfunden. Dieser Karnevalszug im Petersdom ist im Kern nur dazu da, uns erst zu benebeln und dann aufzutrumpfen: »Du bist blind, du bist dumm, du bist schuldig, aber der Papst und die Kirche sehen und wissen alles.« Ja, und? Was habe ich davon, wenn die alles sehen und ich nix? Das ist doch lächerlich! Damit verrät die Kirche doch den christlichen Gedanken. Weil sie die Beziehung zu Gott und zu der ganzen großartigen Schöpfung monopolisiert und so den Menschen seiner Autonomie beraubt und ihn klein macht.
    Und Johannes Hoff sagt eben, das Bescheuerte sei, dass man Gott damit beschränkt. All diese Limitierungen, die wir als kleine Christenwürmer permanent vornehmen, sind falsch: Gütiger Gott, allmächtiger Gott, ewiger Gott, barmherziger Gott – alles Limitierungen. Bescheuerte Kleine-Kinder-Begriffe, die wir ihm anheften und meinen, damit könnten wir ihn irgendwie fassen. Weil wir nun mal kleine Menschen sind und uns freuen, wenn Gott auch mal etwas menschlicher dreinschaut. Das funktioniert aber nicht, wenn’s drauf ankommt. Im Gegenteil, das macht einen fertig. Und Johannes Hoff sagt, nein, das sei es nicht, sondern Gott sei eben alles und nichts, das Nichts von Etwas oder das Etwas vom Nichts – hat Adorno auch schon gesagt. Und das Wichtigste ist vielleicht gar nicht mal der Gedanke ans Jenseits, sondern der kleine Kaktus auf dem Flügel. Dieser kleine Kaktus war das Wichtigste für Adorno, das hat er wohl auch mal gesagt.
    Ich habe auch so einen Kaktus. Noch ist er für mich nicht das Wichtigste, aber vielleicht kommt der Moment noch und vielleicht werde ich dann ganz entspannt sein und habe nur noch diesen Kaktus und mich. Dann kommt der Abschied, ich falle nach vorne in den Kaktus und bin einfach weg. Aber zurzeit hoffe ich doch noch sehr, dass dieses neue CT ergibt, dass da kein Krebs mehr ist. Und dann müssen wir eben weitersehen.
    Das Gefährliche ist ja, dass der Krebs einen zermürben will, er will einem die ganze Zeit mal von rechts eine reinhauen, mal von links oder dann wieder von vorne überraschen. Das sind alles Sachen, die einem so wahnsinnig viel Energie abziehen, dass man sich schon fragt, wie denn da jetzt die Währung aussehen soll, mit der man das alles sinnvoll umsetzen kann. Ich habe ja das große Glück, dass ich tolle Freunde habe, auch an den Theatern. Der Armin Petras vom »Maxim Gorki Theater« zum Beispiel. Der sagte damals, nimm doch einfach deine Texte aus dem Krankenhaus und bring sie in irgendeiner Form auf die Bühne. Er hat mir dafür einfach das Studio überlassen, völlig ohne Druck. Die erste Vorstellung fand nur für Freunde statt, keiner von den Journalisten wusste etwas davon.
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