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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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entstehen können, ist absolut großartig.
             
Als Blume in »Der kleine Prinz«. Schulaufführung des Staatlichen Gymnasiums Oberhausen, 1972; Zeitungskritik

    Eine Absicht bei den ganzen Sachen, die ich gemacht habe, fällt mir immer wieder auf, wenn ich da so liege und nicht aus dem Bett darf oder kann. Ich glaube, vor allem wollte ich das Unsichtbare sichtbar machen. Wenn’s gut lief, hatte man plötzlich das Gefühl, man sieht etwas.
    Ich denke da gerade über einen interessanten Text nach. Und zwar hat mir Johannes, dieser tolle Theologe, nach unserem Treffen eine E-Mail geschrieben. Da geht’s um Cusanus, um irgendwelche Tegernseer Mönche und um das Bild einer figura cuncta videntis. Das sind diese Figuren, an denen man vorbeigeht und die einen immer weiter angucken. Egal, wo man langgeht, die Augen der Figur folgen einem. Man kann dem Blick dieser Figur nicht entweichen. Wenn noch ein anderer vorbeigeht, fragt man sich: Guckt die Figur jetzt den an oder mich? Und ich habe ja damals nach der Diagnose versucht, Aino wegzuekeln, hab ihr gesagt, sie solle jetzt gehen, ich steh das durch hier, bin ein Rocker, bin ein Cowboy, du gehst jetzt mal schön, ich mach das hier mit dem Krebs alleine und danach sehen wir uns vielleicht wieder. Dann war sie aber so klug und hat gesagt, sie bleibt. Und ich: Bist du bekloppt? Ich war teilweise richtig böse, hab sie beschimpft, ihr irgendwas unterstellt, weil ich dachte, ich kann’s alleine.
    Aber sie ist geblieben. Das war dann für mich auch so ein Blick in einen Blick, der etwas sieht, was ich vielleicht nicht sehe, und der nicht weggeht. Und Johannes meint eben, das sei ein bisschen wie die Situation des Narziss. Der schaut ins Wasser oder in den Spiegel oder in den Bildschirm, sieht sich – und sieht zugleich, dass er etwas nicht sieht. Ziemlich beunruhigend.

Der Mensch besteht aus ganz viel Sehnsucht
    Mit dem Narzissmus hatte ich vor allem zu tun, nachdem wir die Partei gemacht hatten. Nach »Chance 2000« konnte ich in jedes Mikrofon jeden Quatsch reden – das, was jetzt andere Politiker übernommen haben. Egal, was los ist: Zu jedem Problem haben sie was auf den Lippen und latschen da durch, als hätten sie zu jedem Problem auch die Lösung. Das sind vor allem die zweieinhalb Monate Wahlkampf, in denen sie das durchstehen müssen, und danach können sie dann anfangen, noch mal alles zu revidieren oder Koalitionsverhandlungen zu machen, wir müssen jetzt mal gucken, Konsens suchen, es wird wohl schon irgendwie anders, aber es bleibt trotzdem, wie wir gesagt haben, blabla.
    Cusanus kann ich in Sachen Narzissmus also sehr empfehlen. Johannes sagt, Cusanus sei natürlich kein moderner Mensch. Aber ich bin’s auch nicht mehr. Ich hab zwar noch sehr viele neue Handys, aber ich bin ehrlich gesagt nicht mehr so modern. Das merke ich ganz klar in Berlin, am Prenzlauer Berg: Diese Horden von Menschen, die da zwischen Notebooks und Zeitungsbergen in den Cafés herumhängen und schon beim Frühstück eine Stimmung verbreiten, als hätten sie was gegen Spiegeleier – ich weiß nicht, ich mag das alles nicht mehr. Ich hab das schon mal nicht gemocht, bin weggezogen, jetzt bin ich vor Kurzem wieder hingezogen – man ist sich ja nicht mal treu in seinen Abneigungen, klar.
    Jedenfalls ist der Prenzlauer Berg ein Ort, an dem es brodelt, in dem wahnsinnig viele Künstler leben – jeden Tag kommen 20   000 bis 30   000 dazu. Und es werden Galerien eröffnet am laufenden Band. Da kriegt man kaum noch die Tür zu vor lauter Informationen, wer jetzt gerade eröffnet und wer bald wieder schließen muss. Das überfordert mich inzwischen maßlos. Irgendwo ist immer Galerieeröffnung, irgendein Kunststudent aus Freiburg oder Braunschweig oder Kassel hat ein Ladenlokal gemietet, das heißt »Zur lustigen Ölfarbe« oder »Moma Berlin« und ist mit ein paar Bildchen des Kunststudenten und seiner Freunde bestückt. Die Bilder kann niemand richtig sehen, weil es viel zu voll ist in der Hütte. Kleine Zeichnungen, die direkt auf die Wand gemalt sind. Was ist hier los? Ist das jetzt Kunst oder ist das noch ein Stück vom Umzug? Hat da der Hausmeister rumgemalt, als er auf die nächsten Mieter wartete? Was ist, wenn ich das kaufen will? Bekomme ich dann die ganze Wand oder wird das kleine Stück da für mich rausgebrochen? Wo ist überhaupt der Rahmen? Bin ich im Rahmen? Bin ich vielleicht das Bild? Und damit der Betrachter meines eigenen Bildes? Warum hängt eigentlich auf
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