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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Wie geht’s dir und deinem Krebs? Und klar, ich tue ja auch selbst alles dafür: Gefühlte zehn Krebsbücher hab ich geschrieben, alles Bestseller, dazu sechzig Theaterstücke, Krebsopern, auch alles Bestseller.
    Tja, so ist das jetzt. Es ist schon eine Selbstentfremdung, die da stattfindet. Andere Menschen kann ich auch nur noch schwer aushalten. Besonders in Berlin. Deshalb wollte ich ja weg und bei René Pollesch in Zürich mitspielen. Der fand die Idee auch erst mal gut. Inzwischen habe ich aber das Gefühl, dass das auf der Kippe steht, weil René vielleicht doch keine Lust hat, seine Arbeit wegen mir irgendwie zu verändern. Vielleicht denkt er auch: Wenn Christoph kommt und nicht gleich als Mittelpunkt behandelt wird, dann wird der doch unangenehm.
    Das ist ja auch nicht ganz falsch. Vielleicht ist es im Moment wirklich besser, wenn ich mehr alleine bin. Vielleicht sollte ich die Zeit nutzen und alle Kraft in das Afrika-Projekt reinlegen, damit es weiter ans Laufen kommt. Die Karten liegen ja nicht schlecht und ich habe das Gefühl, jetzt mehr entscheiden zu müssen: Was will ich eigentlich damit anfangen? Kulturelle Begegnung, kultureller Austausch – was kann das denn heißen? Dass ich dann hierher zurückkomme und tanzende und trommelnde Afrikaner präsentiere, das ist es ja wohl nicht. Oder dass ich zeige, dass die jetzt da unten auch mal den Wagner spielen, das ist es ja wohl erst recht nicht. Vielleicht wäre es interessant, eine Oper wie »Intolleranza 1960« von Luigo Nono mal in Afrika zu proben, um zu sehen, was passiert, wenn so ein humanistisches Ding in diesem Kontext erscheint. Ob ein Begriff wie Intoleranz auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt eine Bedeutung hat. Unsere europäischen Gedanken zu Toleranz und Intoleranz, unsere Ansprüche ans Leben und ans Geliebtwerden sind ja mittlerweile so gefressen vom System, dass es inzwischen die Rechtsradikalen sind, die sich auf den Plakaten als die Tolerantesten verkaufen können. Die sagen einfach: Wir wollen, dass hier endlich wieder Frieden ist und keine Ausländer verhindern, dass hier Sauberkeit herrscht. Die machen hier alles dreckig, also sind die Ausländer uns gegenüber intolerant.
    Genau das ist der Irrwitz in dieser Gesellschaft. Und das ist auch der Punkt, warum ich in Deutschland vielleicht nie mehr glücklich werden kann und auch nicht will.
    Ich glaube, ich muss mich wirklich retten hier, muss mich zurückziehen und mir einfach sagen: Mit Aino ist alles okay, sie macht jetzt hier in Berlin einfach ihre Proben, danach macht sie Zürich und ich bin einfach mal nicht dabei. Mal sehen, ob ich das aushalte, wahrscheinlich nicht. Ich habe keine Ahnung, aber so geht das alles nicht weiter. In mir ist das Unsterbliche. Und das Unsterbliche tötet mich. Das ist ein neuer Gedanke, den ich gern noch weiter ausführen würde.

10. OKTOBER 2009, HAMBURG, THALIA-THEATER
    Unsterblichkeit kann töten
    Guten Abend, meine Damen und Herren, ich freue mich riesig. Wirklich, so viele Leute habe ich nicht erwartet. Samstagabend und dann noch so knapp nach dem Fußballspiel. 1:0, wir haben’s geschafft, Deutschland ist dabei! Toll! Das erleichtert uns den Abend natürlich, das macht uns alles noch süßer als überhaupt möglich. Ich bin heute zum zweiten Mal unterwegs, ich habe auch gelernt, dass ich das Aufnahmegerät anmachen soll, damit man nachher wegen möglicher Anzeigen gegen mich besser reagieren kann …
    Nee, aus der Zeit bin ich raus. Früher habe ich ja öfter Sachen gesagt auf der Bühne, die dann später zum Orkan wurden. Das lasse ich inzwischen sein. Ich will mein eigenes Verfahren und klage mich lieber selbst öfter an und hoffe auf Milde.
    Ich muss ehrlich sagen, dass ich ein bisschen gerührt bin, wieder hier in Hamburg zu sein, weil die »Bahnhofsmission« damals schon etwas Tolles war. Diese Lebendigkeit, die da drinsteckte, dieses unglaubliche Rumhüpfen – das war ja ein Irrwitz. Schon am Anfang die Benefizveranstaltung im Schauspielhaus. Die endete, glaube ich, um halb fünf morgens, Irm Hermann und der Typ von der Tagesschau waren bereits eingeschlafen, lagen einfach so rum und diverse Leute vom Schauspielhaus waren schon längst gegangen. Wir hatten eine Aktion gemacht, bei der, glaube ich, 112 Mark reingekommen waren. Ein Desaster.
    Ein schöner Moment aber war, als Bernhard Schütz irgendwann meinte, wir müssten ein Zelt von der Bühne in den Zuschauerraum tragen. Als Symbol. Symbole sind ja immer ganz wichtig am
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