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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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Hochzeitstag selbst war ich voller Energie. Nein, nicht Energie, das kann ich nicht sagen, ich hatte einfach keine Schmerzen. Und die Sonne hat geschienen, all meine tollen Freunde, mit denen ich schon so viel erlebt habe, waren da – alles ein Riesenglück. Ich habe Gott gedankt und allen Ahnen, die daran beteiligt waren, weil es mir in dem Moment wirklich so vorkam, als sei das alles ein Geschenk. Denn man sieht plötzlich, wie viel doch schon passiert ist im Leben, was alles schon an Gutem in der Chronik steht. Das muss man sich immer wieder ins Bewusstsein holen! Das habe ich noch nicht so gut drauf, vielleicht kann ich das noch ein bisschen trainieren.
    Es kam dann der Moment, als mich meine Freunde zu dem kleinen Fluss geführt haben, wo ich auf Aino warten sollte. Und ich weiß noch, ich fühlte mich wohl, als ich da so stand. Ich hatte mir einen wirklich sehr schönen Anzug besorgt, meine Haare waren wieder gewachsen und ich hatte auch kaum noch Pickel, weil ich vorher die Metastasen-Tablette abgesetzt hatte. Das sind alles Themen, die ja fast nie besprochen werden. Die müssen jetzt auch nicht auf die Titelseiten, ganz sicher nicht, aber man muss das doch anderen Kranken – und vielleicht auch den Gesunden – mal erzählen dürfen: Es kann passieren, dass du dich selber nicht mehr magst. Nicht unbedingt, weil du stinkst oder tatsächlich doof aussiehst, sondern weil du denkst: Was ist mit meinem Körper? Ich hatte doch da mal Haare, mein Bein ist so komisch, da sind so viele Pickel, meine Nase ist so dick. Oder es kann passieren, dass du einfach keinen Hunger mehr hast, weil alles nach Pappe schmeckt. Alle essen und schlemmen und haben Spaß, das dauert dann von acht bis elf und du guckst schon um halb neun auf die Uhr, wann denn endlich die Nachspeise kommt, weil du nach Hause willst.
    Na ja, an meinem Hochzeitstag hatte ich glücklicherweise doch sehr viele normale Gefühle. Und als Aino den Weg entlangkam, von ihrem Vater geführt, war sie so schön, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich war völlig hin und weg. Man sieht das ja immer in Filmen oder in Fernsehshows, dann denkt man, ja, ja, gähn, da kommt die Braut im Brautkleid und alle sind aus dem Häuschen und weinen und so. Aber als Aino auf mich zukam, war das ein Bild, was ich für immer im Kopf haben werde. Aino sah aus, als wäre sie ein Wesen gewesen, in dem Raum und Zeit plötzlich eins geworden sind. Ja: Aino war in dem Moment ein Raum und eine Zeit, alles zusammen, alles ist durch sie hindurchgeflossen. Wunderwunderschön. Dann sind wir in das kleine Ruderboot gestiegen und ich weiß noch, dass Aino ihrem Vater immer sagen musste, wo er auf dem Weg zum See langrudern muss, mehr links, mehr rechts, dann gab es ein kleines Häuschen im Wald, darin stand Friederike und sang dieses Lied von Edvard Grieg. »Ich liebe dich, ich liebe dich wie nichts auf dieser Erde«.
    Ach, es reißt mich, die Strophen kann ich jetzt nicht aufsagen, ich muss den Text mal raussuchen. Es ist jedenfalls ein wunderschönes Lied, das durch den ganzen Park hallte. Und als wir um die Kurve kamen, stand oben am See die ganze Hochzeitsgesellschaft, es war überwältigend, all die Freunde und Unmengen Kinder, die als Blumenmädchen verkleidet waren, in Kostümen aus dem »Parsifal«, die Sabine, die Frau von Voxi, besorgt hatte. Das sah so süß aus. Die Standesbeamtin war auch ganz wunderbar, sie freute sich, weil es das erste Mal war, dass sie eine Trauung draußen machen konnte, und als sie die Rede hielt, hat sie leicht gezittert, war aufgeregt, teilweise auch etwas traurig. Aber nicht negativ traurig, sondern einfach nur gerührt. Und ich habe die ganze Zeit Ainos Hand gehalten.
    Na ja, dann wurde eben alles besprochen, wir haben »Ja« gesagt, uns gegenseitig die Ringe angezogen, unterschrieben und ganz lange geküsst. Und dass ich jetzt eine Frau habe, ist für mich ein unglaubliches Glück.
    Das klingt bestimmt prätentiös, aber es ist wahrscheinlich tatsächlich so: In meinem tiefsten Inneren habe ich nie glauben können, dass mich jemand wirklich mögen, wirklich lieben kann. Weder mich noch die Sachen, die ich gemacht habe. Natürlich wollte ich, dass die Leute das mögen und ich dafür geliebt werde. Ich habe mich ja auch immer voll in alles reingestürzt. Aber wenn sie dann tatsächlich mal gejubelt haben, war ich sofort skeptisch, weil ich dachte, das kann gar nicht sein, da stimmt doch was nicht.
    Das liegt wahrscheinlich an einer Geschichte von früher
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