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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst
Autoren: Paul Ekman
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teil. Darauf schien sie gut anzusprechen: Ihre Stimmung wirkte aufgehellt, und sie sprach nicht mehr davon, Selbstmord begehen zu wollen. In einem der gefilmten Interviews erzählte Mary ihrem Arzt, wie viel besser es ihr jetzt gehe, und bat ihn um eine Ausgangserlaubnis für das Wochenende. Doch bevor ihr die Erlaubnis erteilt wurde, gab sie zu, dass sie gelogen hatte, um sie zu bekommen. Noch immer wollte sie sich unbedingt das Leben nehmen. Nach drei Monaten in der Klinik hatte sich Marys Zustand wirklich gebessert, obwohl sie ein Jahr später einen Rückfall bekam. Inzwischen ist sie lange aus der Klinik entlassen, und es scheint ihr gutzugehen.
    Das gefilmte Interview mit Mary führte die meisten jungen und sogar manchen erfahrenen Psychiater und Psychologen, denen ich es zeigte, hinters Licht.| 4 Hunderte von Stunden verbrachten wir damit, schauten es uns immer wieder an und untersuchten jede Geste und jeden Gesichtsausdruck in Zeitlupe, um mögliche Täuschungshinweise zu entdecken. In einer kurzen Pause, die Mary machte, bevor sie die Frage des Arztes nach ihren Zukunftsplänen beantwortete, erkannten wir in der Zeitlupe einen flüchtigen verzweifelten Gesichtsausdruck. Er war so schnell verflogen, dass wir ihn bei den ersten Analysen des Films übersehen hatten.
    Nachdem wir dann einmal auf die Idee gekommen waren, dass verborgene Gefühle in solchen sehr kurzen Mikroexpressionen sichtbar werden könnten, suchten wir gezielt nach weiteren und fanden jede Menge. Typischerweise wurden sie sofort von einem Lächeln überspielt. Wir stießen auch auf eine Mikrogeste. Wenn Mary dem Arzt erzählte, wie gut sie ihre Probleme im Griff habe, zeigte sie manchmal den Ansatz eines Achselzuckens - nicht die vollständige Gebärde, sondern nur einen Teil davon. Sie zuckte dann bloß mit einer Hand und drehte sie dabei ein wenig. Oder ihre Hände blieben ruhig, und sie hob stattdessen kurz eine Schulter an.
    Wir glaubten, noch weitere nonverbale Anhaltspunkte für eine Täuschung zu sehen, waren aber nie sicher, ob wir da tatsächlich etwas entdeckt hatten oder es uns nur einbildeten. Denn jedes noch so unschuldige Verhalten wirkt verdächtig, wenn man weiß, dass jemand lügt. Unsere Befunde ließen sich nur mit objektiven Testverfahren überprüfen, die nicht davon beeinflusst waren, ob man wusste, dass eine Person log oder nicht. Hinzu kam, dass wir eine große Anzahl Menschen untersuchen mussten, um sicherzugehen, dass die gefundenen Anhaltspunkte für eine Täuschung keine Eigenarten der jeweiligen Person waren. Für den «Lügenermittler», also für denjenigen, der eine Lüge aufzudecken versucht, wäre es einfacher, wenn Verhaltensweisen, die das Täuschungsmanöver einer Person verraten, ebenso bei den Lügen anderer zutage treten. Gleichwohl konnte es sein, dass die Anzeichen für eine Täuschung je nach Person unterschiedlich ausfielen.
    Wir dachten uns also ein Experiment aus, das Marys Lüge zum Vorbild nahm. Die Versuchspersonen sollten hoch motiviert sein, intensive negative Gefühle, die sie im Augenblick der Lüge empfanden, zu verbergen. Während sie einen grässlichen Film sahen, in dem blutige Operationsszenen gezeigt wurden, sollten sie ihre wahren Gefühle der Bestürzung, des Schmerzes und des Abscheus verheimlichen und einen Interviewer, der den Film nicht sehen konnte, überzeugen, sie sähen einen Film über schöne Blumen. (Unsere Ergebnisse werden in den Kapiteln 4 und 5 beschrieben.)
    Ein gutes Jahr verging - noch immer waren wir im Anfangsstadium unserer Lügenexperimente -, bevor Personen an mich herantraten, die sich für ganz andere Lügen interessierten. Ließen sich meine Befunde und Methoden anwenden, um Menschen zu überführen, die unter Spionageverdacht standen? Im Lauf der Jahre, als unsere Erkenntnisse über Verhaltenshinweise auf Täuschungen zwischen Patient und Arzt in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden, nahmen die Anfragen zu. Hätten wir nicht vielleicht Lust, die Personenschützer für Regierungsbeamte so zu schulen, dass sie einen Attentäter anhand seines Gangs oder seiner Gesten ausmachen konnten? Wären wir in der Lage, dem FBI entsprechende Ausbildungsmethoden zu liefern, damit die Polizisten besser herausfinden konnten, ob ein Verdächtiger log? So war ich schließlich auch nicht mehr überrascht, als man mich bat, Unterhändler auf Gipfelkonferenzen dabei zu unterstützen, die Lügen ihrer Verhandlungspartner aufzudecken. Außerdem wurde ich
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