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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst
Autoren: Paul Ekman
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gefragt, ob ich anhand der Fotos, die von Patricia Hearst während eines Banküberfalls gemacht worden waren, entscheiden könne, ob sie freiwillig oder gezwungenermaßen zur Räuberin geworden war. Zuletzt weitete sich das Interesse auf die internationale Ebene aus. Repräsentanten zweier mit den USA befreundeter Länder wandten sich an mich. Und als ich Vorträge in der Sowjetunion hielt, sprachen mich Funktionäre an, die angeblich an einem «elektrischen Institut» arbeiteten, wo man sich mit Verhören beschäftigte.
    Über diese Art von Interesse war ich ganz und gar nicht erfreut, weil ich befürchtete, dass man meine Erkenntnisse missbrauchen, unkritisch übernehmen und allzu eifrig anwenden werde. Ich ahnte, dass sich nonverbale Täuschungshinweise in den meisten Fällen kriminellen, politischen oder diplomatischen Betrugs nicht deutlich genug zeigen würden. Aber es war nur so ein Gefühl. Als man mich danach fragte, konnte ich es nicht erklären. Deshalb musste ich herausfinden, warum Menschen überhaupt Fehler machen, wenn sie lügen. Denn nicht alle Lügen werden entlarvt, manche gelingen auch fehlerlos. Nichts im Verhalten muss auf eine Täuschung hinweisen - etwa durch einen zu lange zur Schau gestellten Gesichtsausdruck, eine fehlende Geste, eine vorübergehende Veränderung der Stimme. Es gibt nicht immer verräterische Zeichen, die den Lügner entlarven. Dennoch wusste ich, dass es Anhaltspunkte für eine Täuschung geben kann. Auch die entschlossensten Lügner können sich durch ihr eigenes Verhalten verraten. War man sich einmal darüber im Haren, wann Lügen erfolgreich sind und weswegen sie scheitern, wie man Anhaltspunkte für eine Täuschung aufdeckt und wann man es gar nicht erst versuchen sollte, dann würde man auch verstehen, was Lügen, Lügner und Lügenermittler ausmacht.
    Als Hitler Chamberlain anlog und Mary ihren Arzt waren beide Male äußerst schwerwiegende Täuschungen im Spiel -es ging um Leben und Tod. Beide verheimlichten ihre Pläne, und beide heuchelten als wesentlichen Bestandteil ihrer Lüge Emotionen, die sie nicht wirklich empfanden. Aber die Unterschiede zwischen ihren Lügen sind enorm. Hitler ist ein Beispiel für einen später noch zu beschreibenden «geborenen Darsteller». Und abgesehen von dieser natürlichen Begabung, besaß er natürlich sehr viel mehr Übung und Erfahrung im Täuschen als Mary.
    Hitler hatte auch den zusätzlichen Vorteil, jemanden zu täuschen, der sich nur zu gern in die Irre führen ließ. Chamberlain war ein williges Opfer, er wollte Hitlers Lüge glauben, dass dieser keinen Krieg anzettelte, wenn nur die Grenzen der Tschechoslowakei seinen Forderungen entsprechend neu gezogen würden. Sonst hätte Chamberlain nämlich zugeben müssen, dass seine Appeasementpolitik gescheitert war und er sein Land sogar geschwächt hatte. Auf diesen Umstand hat die Politikwissenschaftlerin Roberta Wohlstetter in einem ganz ähnlichen Zusammenhang aufmerksam gemacht. Sie analysierte die Rolle von Täuschungsmanövern bei Rüstungswettläufen und kam dabei auf die Verletzung des Deutsch- Britischen Flottenabkommens von 1936 durch Deutschland zu sprechen: «der Betrüger und der Betrogene. haben beide ein Interesse daran, die Illusion aufrechtzuerhalten. Beide müssen so tun, als sei das Abkommen nicht verletzt worden. Die von Hitler geschickt geschürte Furcht der Engländer vor einem Rüstungswettlauf führte zu einem Flottenabkommen, in dem die Engländer (ohne Franzosen und Italiener konsultiert zu haben) den Versailler Vertrag stillschweigend revidierten. Und Londons Angst vor einem Rüstungswettlauf hinderte die Politiker daran, Verletzungen der neuen Vereinbarung wahrzunehmen und einzugestehen.»| 5
    Bei vielen Täuschungen ignoriert das Opfer die Fehler des Lügners, interpretiert zweideutiges Verhalten so wohlwollend wie möglich zu dessen Gunsten und trägt so stillschweigend dazu bei, die Lüge aufrechtzuerhalten, um ihre Aufdeckung und die schrecklichen Konsequenzen daraus zu vermeiden. Ignoriert ein Ehemann die Anzeichen für die Affären seiner Frau, kann er die Erniedrigung zumindest aufschieben, als gehörnter Gatte und womöglich mit den Scheidungspapieren in der Hand dazustehen. Sogar wenn er sich insgeheim ihre Untreue eingesteht, macht er das Spiel weiter mit und deckt ihre Lügen nicht auf, um sein Wissen ihr gegenüber nicht einräumen zu müssen oder um eine Auseinandersetzung mit ihr zu vermeiden. Solange nichts offen ausgesprochen wird,
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