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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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das Entwürdigendste ist, was man einem Menschen antun kann, mal von diesem allem ganz abgesehen: Wie kann sie es wagen, dieses Thema so zu verharmlosen und für sich selbst psychologisches Kapital daraus zu schlagen?
    Warum erzählt sie mir nur diesen Schwachsinn?
    Was gibt’s da noch zu problematisieren?
    Mein Interesse für Peinlichkeiten dieser Art ist stark unterentwickelt. Ich kann da weder Verständnis noch Mitleid, nichtmal Interesse heucheln. Und wenn wir jetzt in einen Wettstreit eintreten — »wer hat die schwerere Kindheit und Jugend erlebt?« da könnte ich sicher mithalten. Aber ich kann es nicht leiden, wenn sich Leute für ihre Schwächen und Fehler mit dem Hinweis auf traumatische Kindheits-und Jugenderlebnisse entschuldigen. Wer soviel Grips hat, den Bezug herzustellen, wer dann noch so clever ist, diesen Bezug für sich selbst zu vermarkten: für den/die gibt’s keine Entschuldigung. Der/die sollte dann auch in der Lage sein, seine/ihre Historie zu verarbeiten und damit umzugehen, und er/sie sollte darauf verzichten, mit weinerlichem Ausdruck ein schweres Schicksal verantwortlich zu machen für dussliges Versagen. Ich jedenfalls habe von mir aus die Tatsache, daß ich in einem Heim aufgewachsen bin, und das war echt keine Freude, noch niemals dafür benutzt, mich für irgendwas zu entschuldigen. Andere können das meinetwegen tun und auf diese Art für meine Entlastung sorgen; ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn sie sich auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege Zugang zu mir zu verschaffen erhoffen.

    M. hat da weniger Scheu. Sie behauptet, sie sei heute relativ selbstbewußt. Ich glaube, sie weiß nichtmal, was das ist...
    Ich erzähle ihr, daß ich Sabine getroffen habe. Daß wir uns gut verstanden haben. Daß wir verabredet haben, uns doch wieder mehr zu sehen. Daß ich die Nacht mit Sabine verbracht habe, erzähle ich nicht. Warum unnötige Verletzungen? So ist es schlimm genug. Aber es muß doch nun mal ein Ende haben, es muß doch zu schaffen sein, daß mir die junge Frau den Laufpaß gibt.
    Es hat geknackt, ich spüre es. M. kommt zu dem Punkt, wo sie nicht mehr mitmacht.
    »Was willst du dann noch von mir?« fragt sie.
    Eine beschissen direkte Frage. Was soll ich dazu sagen?
    Soll ich ihr ernsthaft mitteilen: »Nichts, außer, wenn ich mal Bock habe, ficken?« Das kann man nicht machen. Irgendwie ist da die gute Erziehung vor. Und natürlich die Frauenbewegung: die hat uns ja jahrelang intensiv genug eingebläut, daß so’ne Form von Ausbeutung nun überhaupt nicht mehr angesagt ist, und daß man ein ganz verfluchtes Chauvidreckschwein ist, wenn man Frau auch nur in Gedanken zu einem Lustobjekt dieser Art degradiert.
    Wir sind doch schon alle pflaumenweich in der Birne, man traut sich ja schon lange nicht mehr, in aller gebotenen Höflichkeit und diskretester Zurückhaltung anzufragen, ob gnä’ Frau eventuell Lust verspüren, an Nacht und Bett zu partizipieren. Wer sowas so direkt tut, ist im günstigsten Fall ein ganz übler Macker, das wissen wir doch; damit lebt doch heute jeder einigermaßen fortschrittliche Mann, und ich will auch gar nicht unbedingt abstreiten, daß das vielleicht wirklich ein Fortschritt ist. Aber die Spontaneität ist dadurch kaputt gegangen. Die Umwege sind noch länger geworden, und gewisse neue Spielregeln sind strikt einzuhalten. An dem Punkt ist die Szene prüde. Ach, was heißt prüde — puritanisch ist sie. Da müssen erst Bedürfnisse kunstvoll artikuliert werden, da müssen Ansprüche angemeldet, Ängste und Schwierigkeiten eingebracht und ein grundsätzliches Interesse formuliert werden. Erst nach diesem Ritual — das zugegebenermaßen gelegentlich etwas flotter abgehandelt wird — kommt man/frau in die Nähe vom Eingemachten: Kann ich dich überhaupt riechen? Gehst Du mir auch nicht auf die Nerven? Hast du Eigenschaften, die mich verjagen? Brauche ich, wenn ich mit dir im Bett liege, keine pornografischen Wahnvorstellungen? Hast du nichts, aber auch gar nichts, wovor ich mich ekle?

    Na gut, dann können wir’s ja mal versuchen...
    Tja, was will ich von ihr? Ich druckse so rum. Hüpfe von Allgemeinplatz zu Allgemeinplatz, sage dann schließlich »na ja — ich meine, Sabine ist es nicht allein, es ist eben so...« und gottseilobunddank unterbricht sie mich da: »Dann ist es also so, daß es unabhängig von deiner Beziehung zu Sabine mit mir sowieso nicht ginge.«
    Ich gucke sie an. Sie guckt mich an: Schleswigholsteinische Augen, toter
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