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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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ausgebuddelt habe...
    Sonntagfrüh, 5.00 Uhr. Will mit meiner Bl nach Bonn fahren. Gorleben-Demo. Der Hauptbahnhof ist so schön weiträumig, aber nicht groß genug, um M. aus dem Weg zu gehen. Wir setzen uns in ein Abteil, ich klapp den Sitz runter, dieses Zusammentreffen kann ich nur schlafend überstehen.
    Kaum liege ich, fängt sie an, mir die Füße zu streicheln. Ich bin da überhaupt nicht kitzlig, ich kann das gut vertragen. Füßestreicheln gehört für mich zum Schönsten. Ich wäre ja blöd, wenn ich ihr mit unwilligem Knurren die Objekte ihrer Begierde entziehen würde. Sie streichelt also, krault, massiert unverdrossen — ich glaube, fast bis ins Ruhrgebiet. Und dabei trage ich diese Socken seit einer Woche, etwa. Na, vielleicht hat sie Schnupfen. Aber ich denke, das müffelt schon ein bißchen nach altem Gouda...
    Keine weiteren Vorkommnisse.
    Freundliche Verabschiedung. Und sie sagt: »Wir müssen unbedingt über meinen Brief reden.« Ich komme nicht drumrum...
    Am nächsten Tag gehe ich zu ihr. Das Ding muß ein Ende haben, ich will’s hinter mich bringen. Ich komme rein, sage gleich »ich habe nachher noch’n anderen Termin, wollte aber doch wenigstens kurz mit dir über deinen Brief reden.«
    Sie will jetzt nicht reden, lieber nach dem Termin. Ich sage, »geht nicht«. Sie ist sauer, willigt aber ein. Diese Diskussion muß ein zeitlich begrenzter Termin sein.
    Ich fühle mich relativ stark. Sage: »Ich habe mir das alles nochmal gründlich durch den Kopf gehen lassen. Ich möchte dir eigentlich doch vorschlagen, das abzubrechen.«
    »Nein«, sagt sie, damit wäre sie ganz und garnicht einverstanden, wir hätten schießlich eine »Beziehung«, unsere »Beziehung«, und sie sähe gar nicht ein, warum sie die denn nun allein analysieren sollte.
    Sie will mich zu gemeinsamer Analyse zwingen. Was soll dabei wohl herauskommen?
    Ich probiere von allen Ausstiegsnummern die einfachste. Die, wo die diskussionswütige junge Frau nicht umhin kann, psychologisches Einfühlungsvermögen zu demonstrieren, die, wo sie letztendlich gezwungen ist, Verständnis aufzubringen, die, wo ihr sogar eine angemessene Form des Reagierens gleich mitgeliefert wird — Mitleid:
    Ich sage, »weißt du, in den letzten Tagen ist mir das wieder sehr klar geworden — ich kann zur Zeit gar keine »Beziehung« zu irgendjemandem aufnehmen, ich bin irgendwie dazu gar nicht in der Lage, weil — na ja, ich hab’ dir das ja so andeutungsweise erzählt — weil — also, irgendwo bin ich von meiner früheren »Beziehung«, also von Sabine, irgendwo bin ich da emotional noch nicht abgenabelt, ich habe das wohl noch nicht so ganz überwunden — ich hab’ das natürlich gar nicht so eingeschätzt, also, ich war echt irgendwie der Ansicht, daß das ad acta gelegt ist, aber in den letzten Tagen, wie gesagt, da ist mir das doch irgendwie hochgekommen, und ich weiß auch nicht, was ich da machen soll, aber das ist die Situation. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst...?«
    Das ist die beste Ausstiegsnummer, die es gibt.
    Sie ist voll auf dem falschen Bein erwischt. Kaut auf der Unterlippe. »Laß uns ein anderes Mal darüber reden, wenn du mehr Zeit hast. — Sonntag?« — »Ok, Sonntag. So zehn, halb elf?« — »Ja, das ist gut.«
    Ich gehe.
    Mir ist klar, daß ich diese Verabredung nicht einhalten werde. Ich muß zu meinen Macken Gefühlsrohheit, Diskussionsunwilligkeit und Verschlossenheit auch noch den Makel der absoluten Unzuverlässigkeit hinzufügen. Ich muß einfach noch etwas mehr tun, um sie davon zu überzeugen, daß »es« wirklich keinen Zweck hat.
    Am Sonnabendabend treffe ich mich mit Sabine. Wir trinken viel. Haben uns viel zu erzählen. Sind sehr vertraut miteinander. Es ist schön, einem Körper wiederzubegegnen, den man in- und auswendig kennt. Da kommt richtig Wiedersehensfreude hoch. Mal sehen, ob ihre Reflexe wie gewohnt funktionieren... Der spitze Hüftknochen... Der kleine Leberfleck am Oberschenkel... Alles noch da, alles eine höchst intime Bekanntschaft... Die Empfindlichkeit am Schulterknochen, der Geruch ihres Atems, die kleinen Schweißpfütze auf ihrem Bauch und daß sie es überhaupt nicht leiden kann, wenn ich ihr mit den Fingernägeln über den Unterarm gehe... Wir grinsen uns an... Wir sind ein gutes Team... Diese Nacht mit Sabine, ohne Verhütungsdiskussion und ohne Theoriedebatte über eine emotionelle Basis, gibt mir den Glauben an die Frau als vernunftbegabtes Wesen wieder zurück.
    Sonntag
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