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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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will präzise wissen, wo ich meine Macken habe, ich Macker. Nach den Bekehrungsattacken der gnadenlos missionierenden Feministin nun die wissenschaftliche Nachbereitung: warum, du Sau, warst du mal in mich verliebt, wann hast du gemerkt, daß du es nicht mehr bist, und was, du Chauvischwein, hat diesen Sinneswandel bewirkt?
    Für diese simplen Fragen schreibt sie 10 Seiten voll. Am Schluß teilt sie mir mit, sie will sich erst wieder mit mir treffen, wenn ich mir über ihren Brief Gedanken gemacht habe, so daß wir darüber sprechen können.
    Ich will gar nicht mit ihr darüber sprechen. Aber einfach auf Tauchstation gehen — das ist auch nicht die feine Art.
    Ich habe ihr nie eine Liebeserklärung gemacht. Ich habe ihr auch nie gesagt, ich sei in sie verknallt. Sie hat sich nur erlaubt, das aus meinem Verhalten zu schließen. Ich habe auf sie den Eindruck gemacht, als ob... Ich war zu nett, zu schmusig, zu umgänglich, zu zärtlich, zu entgegenkommend. Und zu geil. Hätte ich ihr vielleicht mitteilen sollen, was ich noch niemals irgend jemandem mitgeteilt habe, was ich auch niemals irgend jemandem mitteilen werde? Das Debakel meines Lebens, meine Blockade? »Beziehungs»-Gespräche mit mir sind von vornherein zur Verlogenheit verurteilt: ich kann mit der Wahrheit gar nicht herausrücken, weil ich mir sonst alle Chancen auf eine intensivere »Beziehung« gleich verbaue.
    Ich bin verliebt. Ich bin verrückt vor Liebe. Schon lange. »Sie« weiß es nicht, niemand weiß es. Nur ich weiß es ganz genau. Und ich bin für alles andere blockiert. Ich weiß, daß ich blockiert bin, aber ich will diese Blockade wirklich durchbrechen. Deswegen immer wieder neue Anläufe und Versuche. Ich wäre froh, wenn mal einer gelänge. Aber große Hoffnungen habe ich da nicht.
    Ich liebe die Freundin meines älteren Bruders. Ich liebe sie so, daß ich Magenkrämpfe kriege, wenn ich sie sehe. Sie weint sich manchmal bei mir aus. Wenn wir uns ansehen, steht die Luft zwischen uns. Wenn wir uns begrüßen, geben wir uns nicht die Hand — der Schlag würde uns beide treffen. Ich weiß es. Nähme ich sie in den Arm, so, wie ich diese Frau umarmen möchte: die ganze norddeutsche Tiefebene würde von einem Erdbeben erschüttert. Würde sie mich küssen — fiele ich ins tiefste Koma. Oder ich wäre im Stande, außen am Kölner Dom hinaufzuspazieren und oben die rote Fahne zu hissen. Das ist meine Frau. Die einzige, seit langem. Aber mein Bruder ist mir wichtig; er ist meine ganze Familie — und er hängt an der Nadel. Ich habe wenig Hoffnung, daß er davon wegkommt: er will es nicht. Wenn ich mich gehen lasse, wenn sie weich wird — ist er dran. Er würde es nicht überleben.
    Ich habe mich schon dabei erwischt, wie ich meinem Bruder den Tod gewünscht habe...
    Wir sprechen nicht darüber. Diese Situation verbalisiert — und die Tragödie nähme ihren unabänderlichen Lauf. Einmal ausgesprochen, und die Situation wird real, existiert. Keiner von uns könnte damit umgehen. Ich habe meine Liebe vergraben, und das Grab ist befestigt wie eine Giftmülldeponie.
    Ich weiß, daß diese Frau für mich unerreichbar ist. Und trotzdem habe ich eine Furcht: sollte es eines Tages einen gemeinsamen Weg für uns geben, hätten wir endlich unsere »Beziehung« — kann sich dann nicht auch ganz schnell herausstellen, daß ich einer fixen Idee unterlegen bin? Daß Neurosen-Arne sich jahrelang verrannt hat, daß da nix ist, daß es sich um eine schlichte Obsession gehandelt hat? Und was dann?
    Jetzt kann ich das Scheitern aller meiner »Beziehungen« leicht erklären, jedenfalls mir selbst. Aber dann? Dann stehe ich auf dem Schlauch, dann muß ich echt über mich ins Grübeln kommen...

    Nein, mit dieser ganzen Nummer im Hinterkopf ist eine »Beziehungsdiskussion« mit mir nicht zu führen. M., diese verbissen kämpfende Feministin, kann einem leid tun. Ich lege ihren Brief erstmal zur Seite. Ich kann ihr nichts erklären. Nicht, daß ich Schiß habe, sie würde das alles rumtratschen. Klar, sie ist nicht gerade ein Safe, aber vielleicht würde sie es tatsächlich für sich behalten. Nur — ob ich es ihr erzähle oder sonst jemandem: wenn es laut wird, formuliert wird, dann manifestiert es sich — und dann muß ich auch was tun. Muß eine Entscheidung treffen, muß daran gehen, das Problem zu lösen. Muß es zu meinen Gunsten lösen. Und das kommt eben überhaupt nicht in Frage. Nein, laß uns das alles wieder beerdigen. Tut mir schon leid, daß ich es
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