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Ich und er und null Verkehr

Ich und er und null Verkehr

Titel: Ich und er und null Verkehr
Autoren: Kim Schneyder
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werde, desto nervöser
werde ich.
    Â»Ein Glas Wasser wäre nett«, sage ich stattdessen. Mein Mund ist
völlig ausgetrocknet. Abgesehen davon reizt mich die Vorstellung, dass die alte
Ziege sich jetzt erheben und mich bedienen muss.
    Was sie dann aber nicht tut. Stattdessen ordert sie über ihre
Sprechanlage ein Glas Wasser für mich.
    Auch gut, soll mir recht sein.
    Ich lehne mich so entspannt wie möglich zurück und versuche den
Augenblick zu genießen. Ich sitze im Vorzimmer eines renommierten Verlages, und
jeden Moment wird mich der Geschäftsführer empfangen, mit offenen Armen, wie
ich mal annehme, und mich willkommen heißen in den elitären Reihen seiner
Schriftsteller.
    Für einen Moment schließe ich die Augen und versuche mir
vorzustellen, was das für mich bedeuten könnte. Mit ein bisschen Glück wird
mein Buch zum Bestseller – na ja, sagen wir, auch ohne Glück, schließlich zählt
hier nur die Qualität –, das wiederum würde bedeuten, dass ich einen Haufen
Geld damit verdiene, und das wiederum würde heißen …
    Ja genau, dann wäre ich gar nicht mehr auf meinen Job angewiesen.
Ich müsste nicht mehr für läppisches Kleingeld einen Sack Flöhe hüten, die
einem das Leben manchmal wahrhaft zur Hölle machen können.
    Nicht dass Sie das jetzt falsch verstehen. Ich mag Kinder, und ich
bin auch gerne Kindergärtnerin. Grundsätzlich. Aber erst heute Vormittag gab es
wieder so eine typische Szene. Gleich nach der Essenspause, als ich es mir
gerade mit meiner Kollegin Kerstin auf der Bank unter der alten Eiche gemütlich
gemacht hatte, kam plötzlich die kleine Leonie hysterisch kreischend
angelaufen. »Meine Lippen bluten!«, schrie sie völlig außer sich, und ihre
Lippen waren zwar nicht blutig, aber doch knallrot. Nach und nach kamen auch
Jasmin, Klara und die kleine Aisha daher, allesamt verzweifelt plärrend und mit
roten Lippen wie die Clowns. »Unsere Lippen bluten, unsere Lippen bluten!«
    Kerstin und ich wechselten einen verwunderten Blick, dann gingen wir
der Sache auf den Grund. Ich zog Aisha näher zu mir heran und inspizierte ihr
Mündchen. Von Blut war da keine Spur, dafür aber von einem Lippenstift Marke
Reeperbahn, satt aufgetragen.
    Â»Hat euch jemand Lippenstift gegeben?«, fragte ich verwundert.
    Sie schüttelten die Köpfe. »Das war kein Lippenstift, das war
Wundercreme«, berichtete Leonie schniefend.
    Eine leise Ahnung überkam mich. »Aha, Wundercreme. Und wofür ist
die?«, fragte ich behutsam.
    Â»Die macht, dass wir keine Babys bekommen, wenn uns die Buben
küssen«, erklärte Leonie voller Ernst.
    Â»Interessant. Und wer war so nett, euch diese … Wundercreme zu
verabreichen?«, wollte ich wissen.
    Â»Das war der Thomas«, riefen sie wie aus einem Mund.
    Â»Der Thomas, soso.«
    Hätte ich mir eigentlich denken können. Wenn in der Gruppe etwas
Schräges abläuft, sind zu neunundneunzig Prozent Thomas und seine Kumpane
Sebastian und Norman dafür verantwortlich. Die drei sind die Ältesten in der
Gruppe und der personifizierte Albtraum jeder Kindergärtnerin. Oder
wahrscheinlich überhaupt jeder Person, die mit ihnen in Berührung kommt.
    Â»Aber wieso seid ihr jetzt so erschrocken über die rote Farbe?«,
mischte Kerstin sich ein.
    Â»Die Wundercreme war ja gar nicht rot, die war weiß«, protestierte
Leonie. Dann füllten sich ihre Augen wieder mit Wasser. »Und jetzt bluten wir
auf einmal!«, platzte sie wieder los.
    Â»Müssen wir jetzt alle sterben?«, schluchzte Klara verzweifelt.
    Und die anderen stimmten gleich wieder in das Geheul mit ein.
    Â»Quatsch mit Soße!«, rief Kerstin plötzlich resolut. »Hier muss
niemand sterben, und das ist auch keine Wundercreme, sondern bloß ein
Spaßlippenstift. Der wird erst rot, wenn man ihn aufgetragen hat. Wartet mal!«
Sie schnappte sich Leonie und wischte mit einem Taschentuch die Farbe von ihren
Lippen. »Seht ihr?«
    Die Kinder machten große Augen. Anschließend legten wir auch die
anderen Münder wieder frei.
    Â»Und ihr bekommt auch ganz bestimmt keine Babys, wenn euch die Buben
küssen«, erklärte Kerstin dann noch. »Was nicht bedeutet, dass ihr euch von
denen küssen lassen sollt! Kapiert?«
    Die Mädchen nickten erleichtert und zogen wieder ab. Überflüssig zu
erwähnen, dass
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